Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
Decke klaffenden gangbreiten, quadratischen Loch und lastete wie ein schwerer Druck auf ihm, als habe in ihm tatsächlich die ganze Last des Millionen Tonnen schweren Gesteins, das er über ihren Köpfen wusste, Gestalt angenommen. Jeder Schritt vorwärts war wie ein Kampf gegen eine bleierne Last, die in seinen Körper, in die Luft um ihn herum gepumpt worden war.
„Nicht so nah heran.“ Ikuns Stimme durchschnitt wie ein Peitschenhieb die düstere Stille. Der Kampf gegen die bleierne Schwere hatte ihn, ohne dass er dessen gewahr geworden wäre, in den dumpfen Brunnenschacht einer Trance sinken lassen.
„Kommen Sie ihm nicht näher“, fuhr Ikun fort. „Wenn Sie in seine Wirkungssphäre geraten – nicht einmal direkt unter ihn, sondern nur in seinen Bannkreis –, dann zermalmt er Sie. Der Geist keines Menschen, Kinphauren oder eines anderen sterblichen Wesens hält die Macht seiner schrecklichen Präsenz aus.“
Auric blickte zwischen Ikuns schwach beleuchteter Gestalt und dem bleichen Schein hin und her.
„Hier herüber müssen wir. Hier ist es.“ Der Kinphaure deutete auf einen schwach erkennbaren Einschnitt in der Seitenwand, der sich zur Dunkelheit einer Kammer zu öffnen schien.
Er sah die Gestalten der anderen zu dem Kinphauren hinübergehen, doch er selber verharrte noch auf der Stelle, unsicher, schwankend.
Er wollte den Wächter sehen. Er hatte eine Vermutung, was ihn betraf, mehr als eine Vermutung, und er wollte sie bestätigt wissen. So trat er vorsichtig einen Schritt vor. Der Druck verstärkte sich. Er presste wie ein Schraubstock auf seine Schläfen und etwas Mächtiges griff sich Raum in seinem Schädel, etwas, das seinem Geist keinen Platz mehr lassen würde, das ihn einfach roh und unbarmherzig beiseite pressen würde. Und dies war nicht der Besucher, dies war erst das Tor. Und einen weiteren Schritt. Der Schatten eines Risses brach sich durch die ballende Masse, der Spalt eines sengenden, durchbohrenden Lichtes fraß sich wie ein weißglühendes Sägeblatt in sein Hirn. Bilder warfen Umrisse voraus wie die Schatten von wimmelnden Maden. Er sah hinauf zur Decke.
Auric war jetzt gerade nah genug herangetreten, um jenseits der Vorderkante so weit in das quadratische Loch in der Decke zu blicken, dass darin für ihn etwas sichtbar wurde. Es saß so tief verborgen darin, dass das Loch beinahe zu einem Schacht wurde. Selbst so sah er nur einen kleinen Teil davon, doch wagte er nicht, noch näher heran zu treten um einen genaueren Eindruck davon zu erhalten. Er erkannte – er wusste – auch so, was es war. Es war das in Stein gemeißelte, übergroße Abbild eines Schädels.
Wie damals tief unter dem Kinphauren-Bauwerk im Saikranon, kurz bevor er auf den Kyprophraigen gestoßen war. Nur war jenes damals schon lange nicht mehr aktiv gewesen, so begriff er jetzt. Es haftete ihm nur noch der Schatten einer einstigen Macht an, ein Schatten, der genügt hatte, ihn mit abgrundtiefer, unerklärlicher Panik zu erfüllen.
Dort im Torweg ist irgendetwas … Wächtergeist … wesenlos und empfindungslos wirkendes … in die Festung hineingebaut.
Wenn dies hier ein ähnlicher Wächter war wie bei der Feste im Norden, im Hexenland, dann wunderte es ihn nicht, dass niemand, der versucht hatte durch den Eingangsschacht ins Innere jenes Bauwerks zu gelangen, jemals mehr zurückgekehrt war.
Er spürte, wie ein Finger ihn an der Schulter berührte, nur die Spitze, ganz leicht nur stupste sie ihn an, wie mit weit, gerade auf Erreichbarkeit, aufs äußerste ausgestrecktem Arm. Ohne sich umzublicken wusste er, dass es Ikun war.
„Was ist das? Was für eine Macht steckt hinter so einer Vorrichtung? Ist es ein Wesen?“
„Kommen Sie weg hier“, sagte Ikun. „Kommen Sie weg, dann erkläre ich es Ihnen.“ Unter seiner gewohnten ungerührten Miene schien er ängstlich.
Er führte ihn zum Eingang der seitlichen Kammer, dorthin, wo die anderen schon warteten. Fünf von ihnen blieben als Wachen beim Eingang der Kammer zurück, unter ihnen Vortig, der beste Flachbogenschütze ihrer aufgelesenen Truppe, der glücklicherweise auch unter den Freiwilligen gewesen war. Die anderen folgten Ikun in den nur noch schwach vom Schein des Wächters erleuchteten Raum.
Die Beleuchtung reichte gerade für Auric, um zu erkennen, dass Ikun auf eine der glatten Wände der Kammer zuging und sie berührte. Daraufhin glitten zwei Teile der Wand wie Türflügel beiseite, und auf einer Plattform schob sich ein Objekt heraus.
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