Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
Kaustagg vorbei auf den Gefangenen, den man an den Stamm einer großen, alten Birke gefesselt hatte und der es mittlerweile vor Erschöpfung und stierer Verzweiflung aufgegeben hatte, sich an der Grenze des Lichtscheins, am Rand zum Einströmens der Nacht hin, gegen die Stricke aufzubäumen.
„Und genauso wie in den alten Tagen muss es sein“, klang Kaustaggs Sermon fort. „Das Blut der Feinde muss wie Rauch, wie ein Odem vom Krieger aufsteigen. Es muss in ihn eingedrungen sein, muss seine Haut durchtränkt, sie gebeizt haben, dass es die hornige Männerhaut eines echten im Stahlgewitter der Schlacht getauften Skrimarenkriegers ist. Wir atmen das Blut unserer Feinde, wir saufen es, wir nehmen es mit jeder Pore in uns auf. Es fließt und pulst durch unseren Körper. Und zu Ehre verwandelt geben wir es wieder von uns, lassen es von unserer Haut im Schweiß in die Welt dampfen, atmen es in unserem Odem wieder aus, auf dass die Welt vom Ehrenodem der Skrimaren reiner und geadelter wird.“
Er trat, den Dolch in seiner Hand ausgestreckt, einen Schritt auf Virri zu.
„Doch um die Welt mit unserer Ehre zu erfüllen, müssen wir zuerst das Blut unserer Feinde vergießen.“ Der schwere, ergraute Schnurrbart, der ihm struppig über die Oberlippe hing, die große, fleischige Nase und der Brauenwulst warfen im Feuerschein schwere, tanzende Schatten auf seine restlichen Züge. Und während die Höhlen fast ganz im Dunkel lagen, flackerte in seinen Augen selber ein kleiner, glühender Widerschein der Flammen.
„Jeder von uns muss Blut vergießen.“
Er trat noch weiter vor, den Blick eindringlich auf den vor ihm Sitzenden gerichtet, streckte ihm das Messer jetzt mit beiden Händen direkt entgegen.
„Du, Virri, musst Blut vergießen.“ Dabei zuckte Kaustaggs Kinn in herrisch pathetischer Geste hoch.
Unter Kaustaggs bohrendem Blick nahm Virri den Dolch nach ein paar Sekunden an. Auric konnte das leichte Zittern seiner Hände sehen. Kaustagg schob ihn in die Richtung, und Virri ging unsicher auf den Gefangenen zu. Virri hatte nichts vom Drachenblut zu trinken bekommen. Der alte sadistische Bastard wollte, dass Virri die Tat bewusst ausführen musste, bei voller Klarheit und mit vollem Willen. So etwas stärkt die Bindung an die Gemeinschaft.
Währenddessen trat Kaustagg vor ihre Reihen.
„Warum hassen und verachten wir die Vraigassen?“
Er nickte mit dem Kinn auffordernd in Richtung des gerade vor ihm Hockenden.
„Weil sie feige sind und keine Ehre haben“, kam es aus der Jungenkehle gebellt.
„Weil sie die Erde mit ihrer Unehre beflecken.“ Der Nächste aus der Reihe.
Kaustagg nickte herrisch und zufrieden dem Nächsten zu.
„Weil sie das Heiligtum der Schlacht entweihen.“
Warum zwingen wir sie dann zu kämpfen, indem wir sie angreifen. Geschieht diese Entweihung dann nicht auf unsere Veranlassung, und uns trifft somit die Schuld daran. Auric blickte aus seinen Gedanken auf und sah, dass die Reihe an ihn gekommen war.
„Weil sie keine Skrimaren sind“, kam es aus ihm heraus.
Für Kaustagg schien das eine schlüssige Begründung zu sein, und mit zufriedenem Nicken trat er zurück, zog beide angewinkelten Unterarme mit geballten Fäusten nach unten durch, triumphierend, mit Nachdruck. Mit grimmig verzerrtem Gesicht und vorgerecktem Kiefer.
„Und was verdienen die Vraigassen dafür?“, schrie er.
Wie aus einer Kehle brach die Antwort aus der Reihe der Jungen hervor.
„Den Tod!“ Während die Flammen des Feuers im Widerschein auf ihren Gesichtern flackerten.
„Was geben wir ihnen, wenn wir sie treffen?“
„Den Tod!“ Im Schrei verzerrte Münder, wild blitzende Augen, die Pupillen vom Drachenblut klein wie Stecknadeln.
„Was gibt Virri, diesem feigen Vraigassen, der in unsere Hände gefallen ist?
„Den Tod!“
Auric sah den Irrsinn in den Augen seiner Gefährten rings um ihn, und eine dunkle Faust berührte ihn im Innern, direkt über dem Herzen.
Damit drehte Kaustagg sich zu Virri um, der unmittelbar vor dem Gefangenen stand. Auric brauchte nicht das Gesicht des Jüngeren zu sehen; seine Körperhaltung, die Kurve seiner Schultern verrieten genug. Seine Erinnerung genügte, um ihm vor Augen zu führen, wie sich Virri jetzt fühlen musste, und seine Kehle zog sich tief am Grund zusammen, als wollte sie ihn daran hindern, seinen Speichelfluss hinunter zu schlucken.
„Virri“, krähte Kaustagg mit unter dem Busch des Schnurrbarts gebleckten Zähnen, „nimm dein Messer und tu
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