Nippon-Connection
»Es ist doch alles schon schwierig genug. Ich habe dich angerufen, damit du weißt, daß ich Michelle früher abhole. Ich gehe mit ihr zum Arzt.«
»Wieso denn? Ihr Schnupfen ist weg.«
»Ich will sie untersuchen lassen, Peter.«
»Aber warum denn?«
» Untersuchen lassen.«
»Ich habe es gehört. Aber …«
»Der Arzt, der die Untersuchung vornehmen wird«, unterbrach sie mich, »heißt Robert Strauss. Man hat mir gesagt, daß er ein Experte ist. Ich habe bei mir im Büro herumgefragt, wer am geeignetsten ist. Ich weiß nicht, wie die Sache ausgehen wird, Peter, aber ich muß dir sagen, daß ich sehr beunruhigt bin, vor allem in Anbetracht deiner Vergangenheit.«
»Was redest du da, Lauren?«
»Ich rede von Kindesmißbrauch. Ich rede von sexueller Belästigung.«
»Was?«
»Ich kann die Augen nicht länger davor verschließen. Du bist wegen so etwas schon einmal angezeigt worden.«
Mir wurde speiübel. Wenn eine Beziehung in die Brüche gegangen ist, bleiben immer Reste von Groll, Verbitterung und Wut - und viele private Dinge, die man über den anderen weiß und die man gegen ihn verwenden kann, wenn man will. Lauren hatte das nie getan.
»Lauren, du weißt doch, daß diese Anzeige auf falschen Beschuldigungen beruhte. Du kennst die ganze Geschichte. Wir waren doch damals noch miteinander verheiratet.«
»Ich weiß nur, was du mir erzählt hast.« Ihre Stimme klang jetzt sehr fremd, moralisierend, ein bißchen sarkastisch. Es war ihre Staatsanwältinnen-Stimme.
»Um Himmels willen, Lauren! Das ist doch lächerlich! Was soll das Ganze?«
»Es ist nicht lächerlich. Ich habe meine Verantwortung als Mutter.«
»Ach, du meine Güte, du hast dir doch früher nie auch nur einen einzigen Gedanken über deine Verantwortung als Mutter gemacht! Und jetzt auf einmal …«
»Es stimmt, ich habe einen Beruf, der mich sehr in Anspruch nimmt«, sagte sie in eisigem Ton. »Aber daß meine Tochter an erster Stelle kommt, stand nie in Zweifel. Und ich würde es zutiefst, zutiefst, bedauern, wenn mein Verhalten in der Vergangenheit auch nur im geringsten zu diesen unschönen Umständen geführt haben sollte.« Ich hatte das Gefühl, daß sie gar nicht mit mir sprach. Es klang, als übe sie ein Plädoyer ein, als probe sie bestimmte Sätze, um zu hören, wie sie vor einem Richter klingen würden. »Ich sage dir klipp und klar, Peter: Wenn da Mißbrauch im Spiel ist, kann Michelle nicht mehr bei dir leben. Dann darf sie dich nicht einmal mehr besuchen.«
Ich fühlte einen stechenden Schmerz in der Brust. »Von was redest du überhaupt? Wer hat dir irgend etwas von Kindesmißbrauch erzählt?«
»Peter, ich glaube nicht, daß ich im Augenblick irgendwelche Kommentare abgeben sollte.«
»War es Wilhelm? Wer hat dich angerufen, Lauren?«
»Es hat doch keinen Sinn, das jetzt breitzutreten, Peter! Ich teile dir hiermit offiziell mit, daß ich Michelle um vier Uhr abhole. Ich möchte, daß sie fertig angezogen ist und gleich mitkommen kann.«
»Lauren …«
»Ich habe Miss Wilson, meine Sekretärin, gebeten, mitzuhören und unser Gespräch zu protokollieren. Ich habe dich vorschriftsmäßig davon unterrichtet, daß ich meine Tochter abholen und ärztlich untersuchen lassen will. Hast du irgendwelche Fragen bezüglich meines Entschlusses?«
»Nein.«
»Also, um vier Uhr. Danke für deine Kooperation! Und laß mich noch etwas Persönliches anfügen, Peter. Es tut mir ehrlich leid, daß es soweit gekommen ist.«
Sie hängte ein.
Beruflich hatte ich einige Male mit sexuellem Mißbrauch zu tun gehabt. Ich wußte, wie so etwas lief. Auf Grund einer ärztlichen Untersuchung läßt sich meist gar nichts beweisen. Der Sachverhalt bleibt immer zweifelhaft. Und wenn ein Kind von einem Psychologen ausgefragt wird, der es mit Fragen bombardiert, fügt sich das Kind früher oder später und erfindet Antworten, um es dem Psychologen recht zu machen. Normalerweise muß der Psychologe die Befragung auf Video aufnehmen, um zu beweisen, daß sie nicht gelenkt war. Aber wenn die Sache dann vor den Richter kommt, ist meistens alles unklar. Deshalb muß der Richter bei der Urteilsfindung sehr vorsichtig sein, und das bedeutet, daß das Kind, wenn auch nur die Möglichkeit eines erfolgten Mißbrauchs besteht, von dem beschuldigten Elternteil getrennt wird oder zumindest unbeaufsichtigte Besuche beim Kind verboten werden. Also keine Übernachtungen, vielleicht nicht einmal …
»Es reicht«, sagte Connor neben mir auf dem
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