Nippon-Connection
richtig einzuschätzen. In Amerika rechnet man immer mit einer gewissen Fehlerquote. Man erwartet, daß das Flugzeug Verspätung hat. Man erwartet, daß die Waschmaschine kaputtgeht. Man erwartet, daß die Post nicht zugestellt wird. Andauernd wird erwartet, daß irgend etwas schiefläuft. In Japan ist das anders. In Japan funktioniert alles. In einem Bahnhof in Tokio gibt es auf dem Bahnsteig markierte Stellen, und wenn der Zug hält, öffnen sich die Türen genau dort. Die Züge sind pünktlich. Gepäckstücke gehen nicht verloren. Termine werden eingehalten. Alles passiert zum geplanten Zeitpunkt. Die Japaner sind gut ausgebildet, gut ausgerüstet und hochmotiviert. Sie werden mit allem fertig, und zwar ohne jede Zeitverschwendung.«
»Na - also …«
»Und der heutige Abend war ein wichtiger Abend für die Nakamoto Corporation. Sie können sicher sein, daß alles bis ins letzte Detail geplant war. Sie hatten vegetarische Hors d’reuvres für Madonna, und sie hatten deren Lieblingsfotografen engagiert. Glauben Sie mir: Die haben immer alles vorbereitet. Für jeden Notfall ist gesorgt. Sie wissen doch, wie sie es machen: Sie sitzen herum und diskutieren endlos alle Möglichkeiten. Was, wenn ein Brand ausbricht? Was, wenn es zu einem Erdbeben kommt? Oder zu einer Bombendrohung oder zu Stromausfall? Endlos überlegen sie sich die unwahrscheinlichsten Eventualitäten. Das ist schon eine Art Besessenheit. Aber wenn das Fest dann stattfindet, haben sie an alles gedacht und alles im Griff. Etwas nicht im Griff zu haben, gilt als sehr peinlich. Okay?«
»Okay.«
»Andererseits steht da unser Freund Ishigura, der offizielle Repräsentant von Nakamoto, vor einem toten Mädchen und hat die Sache ganz eindeutig nicht im Griff. Er ist yöshiki nö, fällt in den aggressiven westlichen Stil, aber er fühlt sich nicht wohl dabei - den Schweiß auf seiner Oberlippe haben Sie sicherlich bemerkt. Seine Hände waren feucht, er hat sie ständig an den Hosenbeinen abgewischt. Er war rikutsuppoi - zu aggressiv. Er hat zuviel geredet. Kurz und gut, er hat sich verhalten, als wisse er nicht, wie er reagieren soll, als würde er nicht mal das tote Mädchen kennen - dabei kennt er sie ganz bestimmt, denn er kennt jeden, der zu dieser Party eingeladen wurde -, und er tut so, als wisse er nicht, wer sie umgebracht hat. Dabei ist ihm auch das mit ziemlicher Sicherheit bekannt.«
Das Auto fuhr wieder in ein Schlagloch und machte einen Satz nach oben. »Augenblick mal! Ishigura weiß, wer das Mädchen ermordet hat?«
»Da bin ich ganz sicher. Und er ist nicht der einzige. Mindestens drei Leute wissen in diesem Augenblick, wer sie umgebracht hat.
Haben Sie nicht gesagt, daß Sie früher mal in der Presseabteilung gearbeitet haben?«
»Ja, letztes Jahr.«
»Haben Sie noch Kontakte zu irgendwelchen Fernsehnachrichtenredaktionen?«
»Ein paar. Dürften schon etwas angerostet sein. Warum?«
»Ich möchte mir ein paar Aufnahmen ansehen, die heute abend gemacht wurden.«
»Einfach nur ansehen? Ohne Durchsuchungsbefehl?«
»Genau. Einfach nur ansehen.«
»Dürfte kein Problem sein«, sagte ich. »Ich rufe einfach mal an.«
In Frage kamen Jennifer Lewis bei KNBC und Bob Arthur bei KCBS. Bob war wohl der bessere Anlaufpartner.
»Es muß jemand sein, den Sie persönlich darum bitten können. Sonst helfen uns die Sender niemals. Sie haben ja bemerkt, daß heute abend kein einziges Fernsehteam am Tatort war. Sonst muß man sich einen Weg durch die Kameraleute bahnen, um überhaupt zur Absperrung zu gelangen. Aber heute waren keine Fernsehteams da, kein einziger Reporter. Nichts.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Wir arbeiten unter verdeckter Kommunikation. Die Presse konnte unsere Funksprüche nicht mithören.«
»Die Presse war aber da«, sagte Connor. »Über die Fete mit Tom Cruise und Madonna wurde doch berichtet. Und dann wird ein Stockwerk höher ein Mädchen ermordet. Aber wo sind die Fernsehteams geblieben?«
»Das erscheint mir ziemlich konstruiert, Captain«, sagte ich.
Als Presse-Officer hatte ich gelernt, daß es in dieser Branche kaum Absprachen gibt. Das Pressewesen ist zu mannigfaltig -und in gewisser Hinsicht auch zu schlecht organisiert. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen wir eine Nachrichtensperre brauchten - wenn beispielsweise bei einer Entführung noch über die Lösegeldübergabe verhandelt wurde -, war es immer unglaublich schwer, die Medien zum Mitmachen zu bewegen. »Redaktionsschluß ist ziemlich früh«,
Weitere Kostenlose Bücher