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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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immer einsamer. Da muß man das bißchen Hilfe, das man geben kann, auch freiwillig geben. Wir können ja nichts außer uns selbst verschenken. Mama ist schon vorgegangen zum Flat. Und ich habe gedacht, meine Kinder würden sich mit mir freuen. Doch meine Tochter sieht aus wie ein Eierdieb, der auf frischer Tat ertappt worden ist.«
    Die Gewalt der Reue, als sie Walters Enttäuschung spürte, beutelte Regina. Schwerfällig wie eine alte Frau ohne Zähne und ohne Kraft in den Gliedern, stand sie auf, legte Max zurück in seine Kissen, ging langsam und sehr zögernd auf ihren Vater zu und umarmte ihn so heftig, als könnte sie allein mit ihren Armen die Gedanken zurücknehmen, von denen er nichts wissen durfte. Das Beben in seinem Körper verriet ihr noch mehr als sein Gesicht die Erregung der vergangenen Nacht. Regina drückte, obwohl sie sich wehrte, eine Trauer, die ihr Gewissen schwer machte; sie suchte nach Worten, um ihm ihr Mitleid zu verbergen, doch er kam ihr zuvor.
    »Du warst nicht sehr vorsichtig in der Auswahl deiner Eltern«, sagte Walter und setzte sich unter den Baum. »Jetzt wollen sie schon das zweitemal mit dir in ein fremdes Land ziehen.«
    »Du willst, Mama nicht.«
    »Ja, Regina, ich will und muß. Und du mußt mir helfen.«
    »Ich bin doch noch ein Kind.«
    »Das bist du nicht, und du weißt es. Mach wenigstens du's mir leicht. Ich könnte mir nie verzeihen, wenn ich dich unglücklich mache.«
    »Warum müssen wir nach Deutschland? Andere müssen doch auch nicht. Inge sagt, ihr Vater wird nächstes Jahr Engländer. Das kannst du doch auch werden. Du bist doch bei der Army und er nicht.«
    »Hast du denn Inge erzählt, daß wir zurück nach Deutsch-land wollen?«
    »Ja.«
    »Und was sagt sie?«
    »Das weiß ich nicht. Sie spricht nicht mehr mit mir.«
    »Ich wußte nicht, daß Kinder schon so unbarmherzig sein können. Das wollte ich dir nicht antun«, murmelte Walter, »versuch doch, mich zu verstehen. Inges Vater bekommt vielleicht einen englischen Paß, aber Engländer wird er deshalb nicht. Sag mal selbst, kannst du dir vorstellen, daß er in englische Familien eingeladen wird? Sagen wir mal bei deiner werten Frau Direktorin?«
    »Bei der nie!«
    »Und auch sonst bei keinem. Siehst du. Ich will nicht ein Mann mit einem Namen sein, der nicht zu mir gehört, aber ich muß endlich wieder wissen, wohin ich gehöre. Ich kann nicht länger ein bloody Refugee sein, der von niemand für voll genommen und von den meisten verachtet wird. Hier werde ich immer nur geduldet werden und immer nur der Außenseiter sein. Kannst du dir überhaupt vorstellen, was das bedeutet?«
    Regina biß sich auf die Unterlippe, aber sie antwortete trotzdem sofort. »Ja«, sagte sie, »das kann ich.« Sie fragte sich, ob ihr Vater ahnte, was sie in den Jahren auf der Schule erlebt und gelernt hatte, erst in Nakuru und nun auch in Nairobi. »Hier«, erklärte sie ihm, »ist es noch schlimmer. In Nakuru war ich nur deutsch und jüdisch, jetzt bin ich deutsch, jüdisch und ein bloody Day-Scholar. Das ist schlimmer als nur bloody Refugee. Glaub mir, Papa.«
    »Du hast uns nie etwas davon gesagt.«
    »Ich konnte nicht. Erst hatte ich nicht genug Worte im Kopf, und später wollte ich dich nicht traurig machen. Und außerdem«, fügte sie nach einer langen Pause hinzu, in der sie die Bilder der Einsamkeit bedrängten, »macht's mir nichts aus. Nicht mehr.«
    »Max wird es genauso gehen, wenn er in die Schule kommt. Hoffentlich hat er ein so großes Herz wie du und nimmt seinem Vater nicht übel, daß er ein Versager ist.«
    Als aus der Liebe eines Kindes die Bewunderung der Frau wurde, schwieg Regina, doch sie wußte, daß ihre Augen sie verrieten. Ihr Vater war nicht dumm, verträumt und schwach, wie ihre Mutter dachte. Er war kein Feigling und rannte nicht vor Schwierigkeiten davon, wie sie in jedem Streit behauptete. Der Bwana war ein Kämpfer voller Kraft und so klug, wie nur ein Mann sein konnte, der seinen Mund nicht aufmachte, wenn die Zeit dafür noch nicht gekommen war. Nur ein Sieger wußte auch, wann er seinen besten Pfeil herausholen mußte, und er nahm sehr sorgsam Maß, um die empfindlichste Stelle der Menschen zu suchen, die er treffen wollte. Ihr hatte der furchtlose Bwana ins Herz geschossen, so tief wie Amor und so listig wie Odysseus. Regina fragte sich, ob sie lachen oder weinen sollte.
    »Du kämpfst mit Worten«, erkannte sie.
    »Das ist das einzige, was ich je gelernt habe. Das will ich wieder tun. Für euch

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