Nirgendwo in Afrika
ihre Kehle und lachte, ohne die Stille zu stören. Immer noch genoß sie mit der gleichen Freude wie am herrlichen Tag, als ihr erstmals das Wunder vergönnt worden war, daß sie mit ihrem Lächeln Freude auf das Gesicht ihres Bruders zaubern konnte. Max gurgelte zufrieden und reihte die Laute, die in ihm waren, zu einer Fontäne von Jubel zusammen, die Regina als »Aja« deutete.
»Laß das bloß Papa nicht hören«, kicherte sie, »der wird verrückt, wenn das erste Wort von seinem Sohn in Suaheli ist.
Der will mit dir in seiner Sprache und von seiner Heimat reden. Sag doch mal Leobschütz. Oder wenigstens Sohrau.«
Regina erkannte zu spät, daß sie sich so unerfahren verhalten hatte wie ein sehr junger Geier, der durch voreiliges Lautgeben seine Artgenossen anlockt und mit ihnen die Beute teilen muß. Sie hatte sich von ihrer Fantasie in die Schlucht treiben lassen, aus der sie nicht ohne Wunden herausklettern konnte. Aus dem schönen alten Spiel mit dem Zuhörer, der nie eine Antwort und also immer die gewünschte gab, war Gegenwart mit grinsender Fratze geworden, und die erinnerte sie an den Streit ihrer Eltern, der nun so regelmäßig wiederkehrte wie das Heulen der Hyänen in den Nächten von Ol' Joro Orok.
Schon damals hatte Regina gewußt, wie sehr das Wort Deutschland, sobald ihr Vater nur die erste der beiden Silben formte, für Kummer und Verdruß stand. Seit einiger Zeit aber war Deutschland für alle eine Bedrohung, die stärker war als die geballte Macht aller unverständlichen Worte, die Regina in ihrer Kindheit fürchten gelernt hatte. Wenn es ihren Ohren nicht gelang, sich rechtzeitig dem unbarmherzigen Krieg ihrer Eltern zu verschließen, dann hörten sie immer wieder von jenem Abschied, den Regina sich noch viel schmerzhafter vorstellte als die Trennung von der Farm, die sie trotz aller Bemühungen und dem Versprechen an Martin nicht vergessen konnte.
Es waren nicht nur die Bosheiten, mit denen ihre Eltern einander quälten, die Regina angst machten, sondern noch mehr das Gefühl, daß von ihr die furchtbare Entscheidung verlangt wurde, ob sie ihrem Kopf oder ihrem Herzen recht geben sollte. Ihr Kopf stand auf Seiten ihrer Mutter, ihr Herz schlug für den Vater.
»Weißt du, Askari«, sagte Regina und sprach mit ihrem Bruder das schöne weiche Jaluo, so wie es Owuor und Chebeti taten, sobald sie mit dem Kind allein waren, »das wird dir genauso gehen. Wir sind nicht wie andere Kinder. Anderen Kindern erzählt man nichts, uns sagen sie alles. Wir beide haben Eltern bekommen, die ihren Mund nicht halten können.«
Sie stand auf, genoß eine Weile das Stechen der harten Grasbüschel unter den nackten Füßen wie ein belebendes Bad, lief dann schnell zu dem blühenden Hibiskus und pflückte eine lila Blume aus der wuchernden Pflanze. Behutsam trug sie die empfindliche Blüte zum Wagen und streichelte mit ihr so lange das Baby, bis es kreischend krähte und aus seiner Kehle wieder die einsilbigen Laute holte, die wie eine Mischung aus Jaluo und Suaheli klangen.
»Wenn du es keinem sagst«, flüsterte sie, setzte Max auf ihren Schoß und fuhr, etwas lauter, englisch fort, »erklär ich's dir. Gestern schrie Mama >Ins Land der Mörder bringt mich keinerc, und ich mußte einfach mit ihr weinen. Ich wußte, daß sie an ihre Mutter und an ihre Schwester dachte. Weißt du, das waren unsere Großmutter und unsere Tante. Aber dann hat Papa zurückgeschrien: >Nicht jeder war ein Mörderc, und er war so blaß und hat so gezittert, daß er mir schrecklich leid tat. Und dann habe ich für ihn geweint. So geht das immer. Ich weiß nicht, für wen ich bin. Verstehst du, daß ich am liebsten mit dir rede. Du weißt ja noch nicht einmal, daß es Deutschland gibt.«
»Na, Regina, stopfst du deinen Bruder voll mit deinen englischen Gedichten, oder kriegt er mal einen anderen Unsinn eingetrichtert?« rief Walter von weitem und kam hinter dem Maulbeergebüsch hervor.
Regina hob ihren Bruder hoch und verbarg ihr Gesicht hinter seinem Körper. Sie wartete, bis ihre Verlegenheit nicht mehr die Haut einfärbte, und kam sich wie ein Jäger vor, der in die eigene Falle gestolpert war. Dieses Mal hatte Owuor nicht recht gehabt. Er behauptete, sie hätte Augen wie ein Gepard, aber sie hatte ihren Vater nicht kommen sehen.
»Ich dachte, du bist beim alten Gottschalk«, stotterte sie.
»Da waren wir. Er läßt dich grüßen und sagt, du sollst dich mal wieder sehen lassen. Das mußt du tun, Regina. Der alte Mann wird
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