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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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über den Pessimismus erfahrener deutscher Mütter hinweg und aus eigenen Kräften in seinem Kinderwagen auf. Es war Sonntagvormittag, als dies geschah. Da bot der Garten vom Hove Court dem schwergewichtigen Baby nicht den passenden Rahmen, um mit körperlichen Leistungen Aufmerksamkeit zu erregen.
    Die meisten Frauen hielten, wenn auch verschämt, weil es seit dem immer populärer werdenden Wort Brunch den Landessitten nicht mehr entsprach, noch am europäischen Ritual eines üppigen Sonntagsessens fest. Sie waren damit beschäftigt, ihr Personal beim Kochen zu beaufsichtigen und über die Qualität des nicht abgehangenen Fleisches zu jammern. Die Männer quälten sich mit der »Sunday Post«, die mit ihren sprachlichen Finessen, den literarischen Ambitionen und den komplizierten Berichten vom Leben der guten Gesellschaft in London die meisten Refugees so überforderte, daß sie sich den Strapazen der Lektüre nur durch lange Pausen gewachsen fühlten und die am besten im Keim erstickte Erkenntnis, daß der Wille stärker war als das Können.
    Hätte Owuor, wie sonst immer, in regelmäßigen Abständen zum Fenster herausgeschaut, hätte er seinen Stolz, den er trotz der ruhiger werdenden Nächte hartnäckig »Askari« nannte, in seinem Kinderwagen aufrecht sitzen sehen. So aber tobte Owuor im entscheidenden Augenblick in der Küche wie ein junger Massai auf seiner ersten Jagd, hatten doch die Kartoffeln vor der Ernte zuviel Regen abbekommen und zerfielen im Wasser. Kartoffeln, die nach dem Kochen wie die Wolken über dem großen Berg zu Hause in Ol' Joro Orok aussahen, pflegten bei Owuor ein Gefühl des Versagens und auf dem Gesicht vom Bwana einen Graben von Zorn zwischen Nase und Mund zu verursachen.
    Chebeti bügelte die Windeln, was Owuor als mißgünstige Attacke auf seine Männlichkeit empfand: nur das Waschen der Wäsche und nicht der Umgang mit dem schweren Holzkohleneisen, das nur ihm gehorchte, gehörte zu den Aufgaben einer Aja. Jettel und Walter hatten ihren Streit vom Abend zuvor mit jener Erschöpfung vertagt, die alle Gespräche seit jenem Tag vorzeitig beendete, als Jettel die konsequenzenreiche Bedeutung des Wortes Repatriation begriffen hatte.
    Sie und Walter besuchten Professor Gottschalk. Er hatte sich den Fuß verstaucht und war seit drei Wochen darauf angewiesen, daß seine Freunde ihn mit Nahrung und den Neuigkeiten aus der Welt versorgten, zu der er weder durch Radio noch Zeitungen und nur im persönlichen Gespräch Kontakt halten konnte.
    So war nur Regina zu Stelle, als ihr Bruder mit einem kräftigen Schwung und lautem Krähen, das indes nur Dianas Hund anlockte, sich eine neue Position im Leben verschaffte. In weniger Zeit, als ein Vogel brauchte, um bei Gefahr die Flügel auszubreiten, verwandelte sich Max von einem Baby, das immer nur den Himmel sah und das hochgehoben werden mußte, sollte es seinen Horizont erweitern, in ein neugieriges Wesen, das jederzeit in die Augen anderer Menschen blicken und nach eigenem Belieben das Leben aus höherer Warte betrachten konnte.
    Der Kinderwagen stand im Schatten des Guavenbaums, in dem früher die englische Fee logiert hatte. Seitdem die klassenbewußte Dame nicht mehr für die Wünsche und den Kummer eines einsamen Refugeekindes zuständig war, suchte Regina nur dann noch die Schutzzone ihrer Fantasie auf, wenn die Sonne sie mit gnadenloser Kraft in den Schatten jagte und so in die Vergangenheit zurücktrieb.
    Als Max mit einem Staunen, das seine Augen rund wie den Mond machte, der in den Nächten seines vollkommenen Glanzes für Tageshelle sorgt, die Geborgenheit seiner Kissen verließ, hatte seine Schwester gerade eine irritierende Entdeckung gemacht. Sie erlebte zum erstenmal in solcher Deutlichkeit, daß allein schon ein vertrauter Geruch jene gut begrabenen Erinnerungen wachzurütteln vermochte, die im Kopf verwirrende Pein entfachten. Der süße Duft von Tagen, die nun nicht mehr waren, kitzelte ihre Nase mit Wehmut. Vor allem konnte Regina nicht befriedigend klären, ob sie sich ihre Fee zurückwünschte oder nicht. Die Wahl der Möglichkeiten machte sie unsicher.
    »Nein«, entschied sie schließlich, »ich brauche sie nicht mehr. Ich habe ja dich. Du lächelst wenigstens, wenn man dir was erzählt. Und mit dir kann ich ja genausogut Englisch sprechen wie früher mit der Fee. Wenigstens, wenn wir allein sind. Oder hörst du doch lieber Suaheli?«
    Regina machte den Mund so weit auf wie ein Vogel beim Füttern der Brut, schob Kühle in

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