Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
alle. Du mußt mir helfen. Ich habe nur dich.«
    Das Wissen um die Last, die ihr der Vater aufbürdete, wog schwer. Regina versuchte noch einmal, sich aufzulehnen, aber gleichzeitig kam sie sich vor, als hätte sie sich im Wald verirrt und soeben eine rettende Lichtung entdeckt. Das Tauziehen um ihr Herz war zu Ende. Ihr Vater hielt ein für allemal den längeren Teil des Seils in der Hand.
    »Versprich mir«, sagte Walter, »daß du nicht traurig bist, wenn wir nach Hause fahren. Versprich mir, daß du mir vertrauen wirst.«
    Noch während ihr Vater sprach, schlugen die Erinnerungen so scharf auf Regina ein wie die geschliffene Axt auf einen kranken Baum. Sie roch den Wald von Ol' Joro Orok, sah sich im Gras liegen, spürte das Feuer einer unerwarteten Berührung und danach sofort den stechenden Schmerz.
    »Das hat Martin auch gesagt. Damals, als er noch ein Prinz war und mich von der Schule abholte. Du darfst nicht traurig sein, wenn du mal von der Farm wegmußt, hat er gesagt. Ich mußte es ihm versprechen. Wußtest du das?«
    »Ja. Eines Tages wirst du die Farm vergessen. Das verspreche ich dir. Und noch etwas, Regina, vergiß Martin. Du bist zu jung für ihn und er nicht gut genug für dich. Martin hat immer nur sich selbst geliebt. Er hat schon deiner Mutter den Kopf verdreht. Da war sie kaum älter als du heute. Hat er dir je geschrieben?«
    »Er wird«, sagte Regina eifrig.
    »Du bist wie dein Vater. Ein dummes Luder, das alles glaubt. Wer weiß, ob wir je wieder was von Martin hören. Er wird in Südafrika bleiben. Du mußt ihn vergessen. Die erste Liebe wird nie was im Leben, und das ist gut so.«
    »Mama war doch auch deine erste Liebe. Das hat sie mir selbst gesagt.«
    »Und was ist draus geworden?«
    »Max und ich«, erwiderte Regina. Sie sah ihren Vater so lange an, bis es ihr schließlich doch gelang, ein Lächeln aus seinem Mund zu locken.
    »Wenn wir nach Deutschland müssen«, fragte sie auf dem Weg zurück zum Flat, »was wird aus Owuor? Kann er wieder mit uns gehen?«
    »Diesmal nicht. Es wird uns ein Stück aus dem Herz brechen, und die Wunde wird nie mehr heilen. Es tut mir leid, Regina, daß du kein Kind mehr bist. Kinder kann man belügen.«
    Es war leicht, beim Mittagessen die Tränen als einen Schmerz des Körpers zu tarnen. Owuor hatte aus den zerfallenen Kartoffeln einen festen Brei mit viel Pfeffer und noch mehr Salz gemacht.
    Am Donnerstag ging Regina mit Chepoi auf den Markt, um für Dianas Geburtstag einzukaufen. Sie mußte danach sehr lange und mit vielen Worten, die sie aus einem Gedicht von Shakespeare holte und sehr frei übersetzte, Owuors Eifersucht zum Erlöschen bringen und konnte dann endlich Professor Gottschalk besuchen. Er saß, zum erstenmal seit seinem Sturz, wieder in der dicken schwarzen Samtjacke auf dem wackeligen Klappstuhl vor seiner Tür. Auf der Decke über seinen Knien lag auch das vertraute Buch, doch der rote Ledereinband mit der goldenen Schrift, die Regina jedesmal so faszinierte, daß sie sich nicht auf die Buchstaben konzentrieren konnte, war verstaubt.
    Sie erkannte mit einer Beklommenheit, die ihr den säuerlichen Geschmack von Angst zwischen die Zähne drückte und die sie erst am Tag darauf als Schmerz deuten lernte, daß der alte Mann gar nicht mehr lesen wollte. Er hatte seine Augen auf Safari in eine Welt geschickt, in der die Zitronenbäume, unter denen er in gesunden Tagen so oft spaziert war, keine Früchte mehr trugen. Seit ihrem letzten Besuch war der schwarze Hut größer und das Gesicht darunter kleiner geworden, doch die Stimme war kräftig, als der Professor sagte: »Es ist nett, daß du noch kommst, die Zeit wird knapp.«
    »Aber nein«, widersprach Regina schnell und mit jener verbindlichen Höflichkeit, die sie oft als Tugend der Pfadfinder hatte einüben müssen, »ich hab' Ferien.«
    »Die hatte ich früher auch.«
    »Sie haben doch immer Ferien.«
    »Nein, zu Hause hatte ich Ferien. Hier ist ein Tag wie der andere. Jahrein, jahraus. Entschuldige, Lilly, daß ich so undankbar bin und so dumm daherrede. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, was ich meine. Du bist noch jung genug zu trinken, was die Wimper hält.«
    Als Regina klar wurde, daß der Professor sie mit seiner  Tochter verwechselt hatte, wollte sie es ihm sofort sagen, denn es brachte nichts Gutes, wenn sich ein Mensch den Namen eines anderen borgte, doch wußte sie nicht, wie sie eine so komplizierte Geschichte erklären sollte, wenn nicht mit Owuors Worten und in seiner

Weitere Kostenlose Bücher