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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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einige Schritte entfernt, als Lilly sich aus den Armen der Tröstenden löste und mit einer kindlichen Schüchternheit, die sie zu einer Fremden machte, leise sagte: »Ich weiß, das Lied paßt nicht zu einer Beerdigung, aber mein Vater hat es geliebt. Ich möchte es hier ein letztesmal für ihn singen.«
    Lillys Gesicht war bleich, ihre Stimme aber klar und kräftig genug für mehrere Echos von den blau leuchtenden Ngong-Bergen, als sie »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten« sang. Manche summten die Melodie mit, und die Stille nach dem letzten Ton war von einer Feierlichkeit, die selbst den Pudel zu ergreifen schien, denn er brach - zum erstenmal seit Jahren -mit der Gewohnheit, Lillys Gesang jaulend zu begleiten. Regina versuchte, erst mit den Erwachsenen zu summen und dann mit ihnen zu weinen, aber ihr gelang weder das eine noch das andere. Es bekümmerte sie, daß sie vergessen hatte, was sie Lilly und Oha sagen sollte, obwohl ihr Vater die drei deutschen Worte, die sie als sehr schön und passend empfunden hatte, erst am Morgen mit ihr geübt hatte.
    Jettel lud Lilly und Oha zum Abendessen ein. Owuor zeigte ihnen voller Stolz den kleinen Max und erklärte ihnen ausführlich, weshalb er ihn Askari nannte. Er war noch stolzer auf den Umstand, daß er sich erinnerte, wie die schöne Memsahib aus Gilgil ihre Spiegeleier haben wollte. Hart mit brauner Kruste, nicht weich mit einer Haut aus Glas wie der Bwana. Owuor war es auch, der Lilly erzählte, daß ihr Vater kurz vor seinem Tod mit Regina gesprochen hatte.
    »Sie ging«, sagte er, »mit ihm auf die große Safari.«
    Regina erschrak, weil sie gedacht hatte, ihre letzte Begegnung mit dem Professor müßte geheim bleiben, aber dann erkannte sie wieder einmal, wie klug Owuor war, denn Lilly sagte erst: »Ich freue mich, daß du bei ihm warst«, und später schlug sie vor: »Vielleicht möchtest du mir erzählen, was ihr gesprochen habt.«
    Als Jettel Max zu Bett brachte und die beiden Männer einen
    Spaziergang durch den Garten machten, holte Regina die Worte zurück, die sie seit dem Tod des Professors in ihrem Kopf verschlossen hatte. Sogar den Satz »Wie kann nur ein Mensch nicht aus Frankfurt sein«.
    Zuerst hatte Regina Hemmungen, von der Verwechslung zu berichten, doch gerade die drängte sich mit einer Gewalt in ihren Mund, als hätte sie nur darauf gewartet, aus der Gefangenschaft freizukommen. Lilly schien die Geschichte zu trösten; sie lachte zum erstenmal, seitdem sie auf dem Friedhof aus dem Auto gestürzt war, und dann noch mal und viel lauter, als sie von der Gesangsstunde erfuhr.
    »Typisch«, erinnerte sie sich, »mein Vater hatte immer Angst, daß ich zu spät komme.«
    »Du bist jetzt so etwas wie die kleine Schwester, die ich nicht hatte«, sagte sie, als sie sich mit Oha verabschiedete, um die Nacht im Zimmer des Professors zu verbringen.
    Am nächsten Morgen, beim Frühstück, fragte sie und machte Regina noch sprachloser als am Abend zuvor: »Wie wär's, wenn du mit uns nach Arkadia fährst? Ich habe deine Eltern schon gefragt. Sie sind einverstanden.«
    »Das geht nicht«, wehrte Regina ab. Sie spürte schon beim Sprechen am Brennen ihrer Haut, daß sie nur ihren Mund, aber nicht ihren Körper beherrscht hatte, und sie schämte sich, weil sie wußte, wieviel Verlangen ihr Blick hielt.
    »Warum nicht? Du hast doch Ferien.«
    »Ich möchte so furchtbar gern noch einmal auf eine Farm, aber ich will auch bei Max bleiben. Ich habe ihn ja eben erst bekommen.«
    »Max hat schon gestern abend ganz deutlich gesagt, daß er Gilgil kennenlernen möchte«, lächelte Oha.
    In Gilgil konnten die Tage noch schneller fliegen als die wilden Enten auf ihrer langen Safari zum Naivasha-See. Nur in den ersten Tagen wehrte sich Regina gegen den Flug der Zeit. Als sie erkannte, wie unruhig sie der Versuch machte, das Glück festzuhalten, begann sie, die Reisenden mit den grün und blau leuchtenden Federn genau zu beobachten. Für sie wurden die unter den wirbelnden Wolken gleitenden Vögel Teil jenes einmaligen Zaubers von »Arkadia«, der Farm mit den drei Rätseln, von denen kein einziges zu lösen war.
    Zwischen den Bergen mit ihren von Sturm und Hitze zerfressenen Kuppeln und den riesigen Schambas mit Mais, Pyre-thrum und Flachs stießen die Augen niemals an Zaun oder Graben. In dieser endlosen Ebene regierte Gott Mungo über die Menschen von Gilgil mit noch festerem Griff als in Ol' Joro Orok. Ihnen reichte es, wenn sie und ihr Vieh genug zu essen hatten.

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