Nirgendwo in Afrika
sie dich rausgeschmissen?«
»Nein«, sagte Walter, zog Regina auf sein nacktes Knie und löschte das Feuer in seinen Augen mit einem Lächeln. »Nein«, wiederholte er, »King George ist sehr zufrieden mit mir. Er hat mich extra gebeten, dir das zu sagen.« Ganz leicht klopfte er auf den Ärmel seines steif gestärkten Khakihemdes. Dort leuchteten zwei Streifen aus weißem Leinen.
»Du bist Corporal geworden«, staunte Regina. Sie berührte einen der kleinen Steine ihres neuen Gürtels und leckte mit der frischen Kraft überwundener Angst das Gesicht ihres Vaters ab, wie Rummler es bei jedem Wiedersehen tat, wenn Freude seinen Körper schüttelte.
»Corporal is bloody good for a fucking refugee«, sagte Walter. »You are speaking English, Daddy«, kicherte Regina.
Der Satz machte in ihrem Kopf eine Beute, die sie ekelte und mit Schuld bedrängte. Ob ihr Vater wohl ahnte, daß sie sich so lange einen Daddy gewünscht hatte, der wie andere Väter aussah, Englisch sprach und keine Heimat verloren hatte? Sie schämte sich sehr, daß sie Kind gewesen war.
»Du erinnerst dich noch an Sergeantmajor Pierce?«
»Sergeant«, verbesserte Regina und war froh, daß sie ihre Trauer hinuntergeschluckt hatte, ohne sich von ihr würgen zu lassen.
»Sergeantmajor. Auch Engländer werden befördert. Und rat mal, was ich ihm beigebracht habe! Er kann jetzt >Lilli Mar-leen< auf Deutsch singen.«
»Das will ich auch können«, sagte Regina. Sie brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um die Lüge in ihrem Mund in jene Süße zu verwandeln, von der Diana behauptete, nur sie sei der wahre Geschmack der großen Liebe.
Daß der Rundfunk am 8. Mai 1945 alle Nachrichtensendungen des Tages mit dem Satz »Keine besonderen Vorkommnisse zu erwarten« begann, lag am Wetter, das von Mombasa bis zum Rudolfsee für die Jahreszeit ungewöhnlich stabil und trocken war. Aus Rücksicht auf die Farmer, denen man gerade in der ersten Erntezeit nach dem großen Regen nicht jede Stunde vorab das ferne Weltgeschehen und dann erst die Details von wesentlichem Interesse zumuten wollte, hatten beim Sender Nairobi seit jeher die meteorologischen Nachrichten Priorität gehabt.
Weder der Tod von George V., die Abdankung von Edward VIII., die Krönung von George VI., noch der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren als ausreichender Grund gewertet worden, mit dieser Tradition zu brechen. So fand der zuständige Redakteur auch die bedingungslose Kapitulation der Deutschen keinen Fall für eine Ausnahme. Trotzdem verfiel die Kolonie in einen Siegestaumel, der in keiner Beziehung dem Jubel im notleidenden Mutterland nachstand.
In Nakuru befahl Mr. Brindley die Beflaggung der gesamten Schule, was das Improvisationstalent sowohl von Lehrern als auch von Schülern auf eine noch nie dagewesene Art herausforderte. In der Schule gab es nur einen einzigen, recht verblichenen Union Jack, der ohnehin täglich vom Hauptgebäude flatterte. Man half sich durch eilig zusammengeklebte und schnell genähte Flaggen aus aussortierten Bettlaken und den Kostümen der roten Affen von der letzten Schüleraufführung.
Für das noch fehlende Blau der Fähnchen wurden Schuluniformen und Pfadfinderkleider zerschnitten, und zwar von jenen begüterten Kindern, die ausreichend Garderobe und danach sehr viel Mühe hatten, ihren Stolz ob der freudig gebrachten Opfer nicht allzu auffällig zur Schau zu stellen.
Es verdroß Regina nicht, daß sie nur einen einzigen Schulrock und ein zu verblichenes Pfadfinderkleid hatte und also bei dieser patriotischen Scherenschlacht lediglich stumm zuschauen konnte. Das Schicksal hatte Größeres mit ihr vor. Mr. Brindley befreite alle Kinder von Army-Angehörigen nicht nur von den Aufgaben für den nächsten Tag, sondern regte in ungewohnt freundlichem Befehlston an, sie sollten ihren Vätern in Uniform einen dem Ereignis würdigen Brief schreiben, um ihnen auf den fernen Kriegsschauplätzen in der mit einem Schlag so wundersam befriedeten Welt zum Sieg zu gratulieren.
Regina hatte zunächst gewisse Schwierigkeiten mit der Aufgabe. Sie grübelte, ob Ngong, das nur wenige Kilometer von Nairobi entfernt lag und wo ihr Vater seit drei Monaten stationiert war, in Mr. Brindleys Sinn als ferner Kriegsschauplatz gelten konnte. Hinzu kam, daß sie sich schämte, weil sie ihren Vater nicht für das British Empire hatte opfern wollen. Im Angesicht des Siegs erschien es ihr nicht mehr recht, daß sie so erleichtert gewesen war und sogar Gott gedankt hatte, als
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