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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Zunge schnalzte und sie seine »schöne Memsahib« nannte, war Jettel glücklich.
    Wäre nicht Elsa Conrad gewesen, die jeden Abend sagte: »Wenn du nur einmal deinen Mann betrügst, breche ich dir alle Knochen im Leib«, hätte sich Jettel ihrer berauschenden Eitelkeit so ungehemmt hingegeben wie ihren gelegentlichen Zukunftsträumen, in denen Walter Captain wurde, ein Haus in der besten Gegend Nairobis baute und Jettel dort die Elite der Gesellschaft empfing, die natürlich bezaubert von ihrem ganz leichten Akzent war und sie für eine Schweizerin hielt.
    Es war Jettel klar, daß der Sieg auch im Horse Shoe stimmungsvoll gefeiert werden würde und daß es absolut ihre patriotische Pflicht war, sich für die Kämpfer fern der Heimat zu rüsten. Als sich die erste Nachricht von der deutschen Kapitulation herumsprach, hatte sie sich sofort in die Badeliste eingetragen und nach einem sehr heftigen Streit mit Frau Keller, die ausgerechnet an einem für Jettel so wichtigen Tag ein Bad außerhalb der Reihe für ihren Mann durchsetzen wollte, sich schon mittags den Waschraum erkämpft. Nach langer Überlegung entschied sie sich, nicht ohne einen kleinen Dämpfer für ihre gute Laune, für das immer noch ungetragene lange Abendkleid, das seit ihrer Ankunft in Rongai für den anhaltenden Streit mit Walter sorgte, weil er nicht bereit war, seinen Eisschrank zu vergessen.
    Sie brauchte mehr Zeit als erwartet, um das Kleid aus schwerem blauem Taft mit einem gelb-weiß gestreiften Oberteil, Puffärmeln und winzigen Knöpfen im Rücken über Brust und Hüften zu schieben. Noch länger dauerte es, ehe sie in dem kleinen Spiegel an der Wand die Frau fand, nach der sie suchte, aber sie lächelte sich so lange energisch Mut und Illusionen zu, daß sie schließlich doch zufrieden war.
    »Ich habe immer gewußt, daß ich das Kleid brauche«, sagte sie und schob ihr Kinn zum Spiegel hin, aber der Trotz, den sie nur kurz als heiteres Spiel hatte genießen wollen wie das Vanilleeis, das die Spezialität im Horse Shoe war, verwandelte sich in ein Messer und zerstörte mit scharfem Schnitt das herrliche Porträt der schönen jungen Frau im Siegestaumel.
    Mit einer Plötzlichkeit, die ihren Atem heftig machte, sah sie das Farmhaus in Rongai mit dem Dach, das weder vor Regen noch Hitze schützte, sah Walter enttäuscht über den Kisten aus Breslau stehen und hörte ihn schimpfen: »Das Ding da wirst du nie tragen. Du weißt gar nicht, was du uns angetan hast.« Sie versuchte sofort und kichernd, die beiden Sätze zu ersticken, aber ihr Gedächtnis versperrte ihr den Fluchtweg, und die Worte erschienen ihr symbolisch für die Jahre, die ihnen gefolgt waren.
    Aus den breiten weißen und gelben Streifen, die um ihre Brust liefen, wurden schmale und zu feste Ringe aus Eisen. Als hätte jeder von ihnen eine Peitsche, trieben sie Jettel zu den mühsam verdrängten Erinnerungen hin. Mit ungewohnter, peinigender Genauigkeit durchlebte sie noch einmal den Tag, als Walters Brief in Breslau mit der Nachricht angekommen war, daß für sie und Regina Bürgschaften zur Auswanderung bereitlagen. Im Rausch der Erlösung hatte sie mit ihrer Mutter das Abendkleid gekauft. Wie hatten beide bei der Vorstellung an Walters verblüfftes Gesicht gelacht, wenn er das Kleid anstelle des Eisschranks sehen würde.
    Der Gedanke, daß die Mutter mit niemanden so viel und so herzlich lachte wie mit ihr, erwärmte Jettel nur kurz. Gnadenlos drängte sich ihr das letzte Bild auf. Eben noch hatte die Mutter gesagt: »Sei gut zu Walter, er liebt dich so«, und schon stand sie weinend und winkend im Hamburger Hafen und wurde immer winziger. Jettel spürte, daß sie kaum noch Zeit hatte, in die Gegenwart zurückzukehren. Sie wußte, daß sie nicht an die Mutter, ihre Zärtlichkeit, Tapferkeit und Selbstlosigkeit und schon gar nicht an den furchtbaren letzten Brief denken durfte, wollte sie ihren Traum vom Glück retten. Es war zu spät.
    Erst wurde ihre Kehle trocken, und dann riß ein Schmerz so gewaltig an ihrem Körper, daß sie nicht mehr dazu kam, das Kleid abzustreifen, ehe sie sich mit kleinen, schluchzenden Tönen auf ihr Bett warf. Sie versuchte, nach der Mutter zu rufen, dann nach Walter und schließlich in höchster Not nach Regina, aber sie bekam ihre Zähne nicht mehr auseinander. Als Owuor mit Rummler von dem Trubel auf der Delamare Avenue zurückkam, lag der Körper seiner Memsahib wie eine Haut, die in der Sonne trocknen soll, auf dem Bett.  »Nicht weinen«,

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