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wieder mal ansehen.“
„Gefällt er Ihnen auch so gut?“
„Er mißfällt mir nicht. Bei seiner Premiere — 1932 oder 33, glaub ich — hat er viel Staub aufgewirbelt. Die Kritiken haben ihn verrissen, aber so schlecht war er nicht. Meiner Meinung nach wenigstens.“
„Ein Meisterwerk, sag ich Ihnen. Nicht mehr, nicht weniger. Über die Kritik kann ich nur lachen. Ein Meisterwerk. Ich kann’s gar nicht oft genug sehen. Hier, ich lege mich hin... Bitte, setzen Sie sich dorthin...“
Er wies mir einen niedrigen Stuhl zu.
„...und beinahe ohne mich zu bewegen, nur indem ich diesen Hebel betätige, stellt sich der Projektor an, und gleichzeitig wird es dunkel.“
Bevor er liegend zur Tat schritt, brüllte er, man solle die Musik abstellen. Gelallte Proteste wurden laut, aber der Plattenspieler verstummte. Jetzt drückte der Schriftsteller auf den Hebel. Alle Lichter gingen aus. Durch die Spalten der Vorhänge drang schwaches Licht. Draußen brach über dem Luxembourg der Tag an. Die Vögel begrüßten ihn mit fröhlichem Gezwitscher. Surrend begann der Projektor, den Film abzuspulen.
Die Geschichte dieses Grafen Zaroff ist bekannt. Auch er ein Mann von erlesenem Geschmack. Treibt die Liebe zur Jagd, den Spaß daran und die Philosophie des Jagens bis zum Äußersten. Zuerst macht er Jagd auf Niederwild, dann auf Hochwild, und schließlich geht er auf Menschenjagd. Nichtsahnende Zeitgenossen nehmen seine Einladung auf eine seiner Inseln gerne an. Und eines Tages dann wird ihnen die Wahrheit erzählt, worum’s dem Grafen geht. Natürlich versuchen sie zu fliehen. Mit dem Gewehr in der Hand nimmt der Graf die Verfolgung auf, zitternd vor grausamer Wollust. Er hetzt sein Wild wie einen Hirsch oder ein Wildschwein. Das Happy-End — man ahnt natürlich, daß die unvergleichliche Grausamkeit dieses Nimrods bestraft wird — das Happy-End fehlte allerdings auf der Kopie von Monsieur Saint-Germain. Diese zerkratzte, abgenutzte Fassung zeigte nur die Jagdszenen. Ich muß gestehen, daß diese Szenen, aus dem Zusammenhang gerissen, eine gewisse furchtbare Größe besaßen.
„Das war’s“, sagte der Schriftsteller und schaltete den Projektor aus. „Ganz hervorragend, nicht wahr?“
Ein junger Bursche kam näher.
„Mir hängt’s so langsam zum Hals raus“, sagte er.
Er blieb stehen, weil das gerade Mode war. Die Worte stolperten aus seinem Mund.
„Wirklich?“ fragte Saint-Germain.
„Ja, M’sieur. Und jetzt spielen wir zur Abwechslung wieder mal das Spiel der Wahrheit, stimmt’s?“
„Und warum nicht, Monsieur Verodat?“
„Sie werden mich nie mehr dazu bringen, bei diesem saudummen Spiel mitzumachen!“ fauchte der angetrunkene Junge. „Man redet und redet, weiß gar nicht mehr, was man sagt, immer schön sachlich bleiben , wie Sie sagen. Und am Ende stehen alle dumm da. Ein Mädchen...“
Er schluchzte kurz auf.
„...Ich hab sie geliebt, und bei diesem Scheißspiel hab ich sie verloren. Sie sind ein Schwein, Monsieur Saint-Germain!“
„Und Sie ein armer Irrer, Monsieur Verodat“, gab der andere zurück. „Und ich will Ihnen noch was sagen. Sie mögen der Enkel oder Adoptivsohn oder Neffe sein, was weiß ich, von...“ Hier nannte Saint-Germain den Namen eines berühmten Akademiemitglieds.
„...aber Sie kommen gerne in mein Haus, um sich zu besaufen, mit meinen Likören, meinen Schnäpsen...“
„Leck mich am Arsch“, knurrte der junge Mann aus gutem Hause.
Ein liebenswürdiges Lächeln umspielte die Lippen des Schriftstellers.
„Das haben Sie mir neulich schon gesagt. Ich hab Ihnen geantwortet, daß ich etwas zu alt sei, um ihren Wünschen zu entsprechen, aber daß Sie sich von dieser Seite her, wenn ich so sagen darf, die schönsten Hoffnungen machen können. Sie haben mich als ,Scheißkerl “ beschimpft und geschworen, nie mehr wieder einen Fuß in meine Wohnung zu setzen. Sieht so aus, als seien Sie doch wiedergekommen. Sonst hätten wir nicht das Vergnügen, uns anschnauzen zu dürfen.“
Leichenblaß schrie der junge Mann:
„Scheißkerl!“
„Sie wiederholen sich, Monsieur Vérodat.“
„Du auch, du wiederholst dich auch“, keifte ein Mädchen, ebenfalls nicht mehr nüchtern. „Läuft er, dein Bestseller?“
„Kümmern Sie sich nicht um meine Kunst, Mademoiselle Agnès.“
„Meine Kunst... meine Kunst...“
Rémy, der Dichter mit dem feisten Schwammgesicht, packte das Mädchen am Arm und stieß es in eine Zimmerecke.
„Halt die Schnauze“, rief er ihr
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