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Einfälle. Schade, daß der Verfasser eine so widerliche Fresse hatte. Aber besser so eine als gar keine. Charlie Mac Gee war auch nicht mehr hübsch anzusehen. Ich legte die Poesie zur Seite und dachte an ernsthafte Dinge.
4.
Untergrundaktionen
Um sechs holte ich mir die Morgenausgaben der Zeitungen. In keiner stand etwas von einer auch nur klitzekleinen Leiche in einem Hotel in Saint-Germain-des-Prés, weder schwarz noch weiß noch gelb.
Von sieben Uhr an klingelte das Telefon wieder fast ununterbrochen, wütend und ungeduldig. Ich ließ es ungeduldig wüten.
Genauso gleichgültig gegenüber dem ständigen Klingeln war Marcelle. Sie lag regungslos auf dem Sofa und schlief brav ihren Rausch aus. Nur ab und zu ein schwacher Seufzer. Sie wurde wohl von Alpträumen verfolgt. Ein herrlicher Kater wartete schon auf sie. Aber im Vergleich zu dem, der in meinem Kopf miaute, war ihrer ein Waisenknabe. Um ihn zu verjagen, aß ich eine Kleinigkeit und schüttete starken Kaffee ohne Zucker nach. Dabei ging ich die Zeitungen nochmal durch. Vielleicht war die gesuchte Meldung ja in letzter Minute noch irgendwo reingerutscht, und ich hatte sie übersehen. Nix. Keine Überraschung für Nestor. Die Ausgaben waren fix und fertig gewesen, vielleicht auch schon ausgeliefert, noch bevor die Flics ihre Untersuchungen am Tatort abgeschlossen hatten.
Was mich interessierte, stand in keinem Blatt. Also las ich das, was mich nicht interessierte. Nur um die Zeit totzuschlagen. Monsieur Bergougnoux-Saint-Germain verfolgte mich. Er drängte sich mir sozusagen als Verdauungsschnaps auf. Hätte drauf verzichten können. Auf der Literaturseite las ich, daß er ein neues Buch schrieb, dessen Erfolg ohne jeden Zweifel den des vorangegangenen Bestsellers in den Schatten stellen würde. Ich seufzte neidisch. Diese Leute wie Saint-Germain waren glücklich dran. Konnten sicher sein, daß das, was sie anpackten, auch von Erfolg gekrönt wurde. Ich wollte, bei mir wär’s genauso!
Drei Stunden gingen vorbei. Lange, zähflüssige Stunden. Ich ging wieder runter zum Kiosk. Für die Zeitungsverkäufer war ich heute ein guter Kunde. Ich kaufte die Abendzeitungen, die jetzt am frühen Morgen, in der dritten Abendausgabe erhältlich waren (was mir immer ein Rätsel bleiben wird!). Crépuscule, France-Soir und Paris-Presse meldeten in dicken Schlagzeilen auf der ersten Seite:
DRAMA IN SAINT-GERMAIN-DES-PRÉS
Heute nacht wurde im Diderot-Hôtel am Boulevard Saint-Germain, mitten in der Existentialistentümmelei...
Was sollte das denn sein: Existentialistentümmelei? Na ja, weiter...
... die Leiche eines Schwarzen entdeckt, der vor kurzem aus den Vereinigten Staaten nach Paris gekommen und in diesem Hotel abgestiegen war...
Der unaufhaltsame Abstieg des Charlie Mac Gee!
... Dort hatte er sich unter dem Namen Charles Mac Gee eingetragen. Interpol ist er aber schon seit langem unter verschiedenen Decknamen bekannt. Mac Gee — bleiben wir bei diesem Namen — ist anscheinend das Opfer einer Abrechnung der Unterwelt. Er war so vorsichtig, daß er praktisch nie sein Zimmer verließ...
Es folgte die genau Beschreibung seiner Alarmanlage, einschließlich Kommentar.
...In der Hand der Leiche fand man die Waffe, aus der die tödlichen Schüsse abgegeben wurden. Das sollte einen Selbstmord Vortäuschen. Die Verletzungen schließen aber jeden Zweifel aus: Charles Mac Gee ist ermordet worden.
Nach Meinung des Gerichtsmediziners hatte man dem Schwarzen gegen zweiundzwanzig Uhr sein Schlafmittel mit dem durchschlagenden Erfolg verabreicht. Niemand im Hotel konnte sich erinnern, etwas Verdächtiges gehört zu haben. Den ganzen Abend nicht. Im übrigen hatten die Stammesgenossen der Leiche — völlig unverdächtig — etwa um dieselbe Zeit im Zimmer eines Freundes eine Jam session veranstaltet. Mußte ein schönes Spektakel gewesen sein. Darin konnten die Schüsse gut untergehen, zumal die Tatwaffe einen Schalldämpfer hatte. Andererseits konnten die Angestellten nicht mit Sicherheit sagen, ob Leute im Hotel rumgelaufen waren, die nicht zu den Gästen gehörten. Dafür wechselten die Mieter zu oft. Sah schlecht aus für die Verwaltung des Hauses. Ich sah meinen kahlköpfigen Freund, den Nachtportier, dem ich soviel Kummer bereitet hatte, schon ohne Arbeit dastehen. Die Flics hatten Fingerabdrücke gesichert. Die setzen immer ihre Ehre dran, welche zu finden, auch wenn sie dadurch nicht weiterkommen. Als würden sie pro Hautrille bezahlt. Na ja, jedes
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