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zu.
„Danke, mein Lieber“, sagte der Hausherr geschwollen, „aber ich wär sie schon alleine losgeworden.“
Nach diesen wohlgesetzten Worten kam es zu einer gegenseitigen Anschnauzerei, die in einem allgemeinen Chaos endete. Also wirklich, für einen Mann von Geschmack wie Saint-Germain... man hätte meinen können, man wär auf dem Flohmarkt in Saint-Ouen . Die Zwischenfälle führten zum Abbruch des Beisammenseins... „gemütlich“ wäre dafür nicht das richtige Wort. Die Gäste verschwanden nacheinander. Ich schnappte mir Marcelle, die inzwischen völlig außer Gefecht war, und verabschiedete mich ebenfalls.
„Enden Ihre künstlerischen Darbietungen immer so herzlich?“ stichelte ich.
„Hab schon Besseres gesehen“, erwiderte der Bestsellerautor.
Rémy mit dem aufgedunsenen Gesicht stand wie ein Leibwächter neben ihm.
„Zum Beispiel eine Wohnungseinweihung mit anschließender Einlieferung ins Hospital. Ein Bombenerfolg.“
„Sagen Sie, dieser Verodat, ist das wirklich ein Verwandter von...“
„Was weiß ich? Angeblich sind das alles Neffen, Cousins oder Brüder von Generälen, Industriellen, Schriftstellern und Politikern. Aber vor allem sind sie völlig abgebrannt, verkrachte Existenzen, Säufer. Und arbeitsscheu. Diese Versager sind froh, hierher kommen zu dürfen. Im Winter zum Aufwärmen, im Sommer zum Erfrischen und das ganze Jahr über zum Besaufen. Aber offen gesagt, ich mag sie.“
„Alles steht also zum besten“, bemerkte ich.
Dann nahm ich Marcelle unter den Arm und verschwand. Das Mädchen schlief fast im Stehen. Ich hatte nicht grade glänzende Laune. Hatte an einer Reihe von eher deprimierenden Schauspielen teilgenommen, alles in allem: Zimmer 42, Cave-Bleue, Wohnung von Germain Saint-Germain. Dieser versnobte Dandy mit dem erlesenen Geschmack! Alles nur Augenwischerei! Aber vielleicht konnte er mir noch von Nutzen sein. Schon für heute nacht würde er mir das fällige Alibi verschaffen... sollten die Flics Wind davon bekommen, daß ich mich hier im Viertel rumgetrieben hatte.
Ich hatte Glück. An der Rue de Fleurus erwischte ich ein freies Taxi. Trotz meiner ramponierten Fassade und Marcelles Zustand ließ der Chauffeur uns einsteigen. Meine Freundin fiel wie ein nasser Sack auf den Rücksitz und fing sofort an, mit dem Motor um die Wette zu schnarchen. Aus ihrem zusammengerollten Trenchcoat fiel etwas auf den Boden: Eine Schallplatte und ein kleines Büchlein. Autor: Rémy Brandwell: Titel: Schrei des Herzens. Also noch eine, die man besser nicht in die feine Gesellschaft einführt. Mit ihren langen Fingern... Als wir am Ziel waren, bat ich den Chauffeur mir zu helfen, die stockbesoffene Marcelle in meine Wohnung zu befördern. Er tat es zwar, warf mir als Antwort aber einen zweifelnden Blick zu. Hielt mich wohl für den Sittenstrolch aus dem Bois de Clamart, dem ich im Moment wohl sehr ähnlich sah. Irgendwo im Haus klingelte ein Telefon. Immer lauter, je näher wir meiner Wohnung kamen. Natürlich bei mir. Ich überhörte das ungeduldige Klingeln. Den Anrufer kannte ich: Jérôme Grandier. Der Teufel sollte ihn holen! Er brauchte gleich nur einen Blick in die Zeitung zu werfen. Dann würde er genausoviel wissen wie ich.
Wir legten Marcelle auf ein Sofa. Ich bedeckte sie mit einem alten Mantel. Dann bezahlte ich den Taxichauffeur. Als er weg war, ging ich in mein Schlafzimmer. Das Telefon hatte inzwischen aufgegeben. Ich zog mich aus und legte mich ins Bett. In meinem Kopf dröhnte Jazzmusik, in meiner Nase hingen immer noch verschiedene anrüchige Gerüche. Ich war zu aufgedreht, um Schlaf zu finden. Also hörte ich auf, ihn zu suchen. Stattdes-sen nahm ich mir den Gedichtband von Rémy Brandwell vor. Das würde mich auf andere Gedanken bringen. Erst mal bewunderte ich die Widmung für Germain Saint-Germain. Die Schrift eckig, die Worte überschwenglich. Saint-Germain hatte recht: eine Reihe hübscher Wortspiele aus der Zeit Rose Sélavie, von Marcel Duchamp und Robert Desnos.
A ist der Fall A, der Fall eins ,
ist der Fall eins , der Fall A.
C ist das Feuer.
Wie recht Bergougnoux Saint-Germain hatte. C war das Feuer, vielleicht, aber ganz bestimmt war C auch Cora, seine Gattin, die wanderlustige Schönheit. Ich las weiter:
Errichtet für mein Martyrium
am Kreuzweg der Sehnsüchte
in den offenen Händen
blutende Rosen anstelle von Nägeln
und auf der Brust
die beiden zitternden Schächer...
Hübsch ausgedacht. Dazu noch zwei oder drei recht charmante
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