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Schade. Hätte gerne mit Ihnen einen flotten Urlaub gemacht. Aber Geld läuft mir anscheinend nicht nach. Bis später, mein Schatz.“
„Hören Sie...“
Ich legte auf. Selbst die nettesten Worte des Trostes waren unerträglich für mich. Vor allem die netten Worte. Kaum lag der Hörer friedlich auf der Gabel, ging das Gebimmel wieder los. Ich ließ es bimmeln.
Nur mit tropfendem Seifenschaum bedeckt, ansonsten splitternackt, stürzte Marcelle aus der Dusche. Sie hob die Zeitung auf, die sie eben hingeschmissen hatte. Jetzt erst dämmerte ihr, daß in dem Bericht vom Diderot-Hôtel die Rede war. Sie hätte sich damit ruhig noch etwas Zeit lassen können. Mein Fußboden wäre ihr dankbar gewesen.
„Aber da... da wohn ich doch... wo das passiert ist!“ stammelte sie.
„Hm, ja.“
„Verflixt! Was soll die Scheiße?“
„Wahrscheinlich ‘n Streit zwischen Negern. Nicht in einem Tunnel, aber genauso undurchsichtig.“
„Ist das...“ Sie sah mich komisch von der Seite an. „...Ist das der Kerl, zu dem du mußtest?“
„Nein. Soviel Pech hab ich nun auch wieder nicht“, sagte ich so unbeschwert wie möglich. „Aber es wär besser, wenn du nicht drüber reden würdest. Braucht nicht jeder zu wissen, daß ich heut nacht bei dir war... und noch bei einem anderen Hotelgast. Verstehst du? Also halt die Klappe.“
Sie riß die Augen auf.
„Aber du... du hast doch wohl nicht...“ stotterte sie erschreckt.
„Nein, ich hab ihn nicht getötet“, beruhigte ich sie lachend. „Die Uhrzeit stimmt nicht.“
„Die Uhrzeit?“
„Die Zeit, als der Mord geschah, und die, als ich im Hotel war.“
„Ach ja, natürlich, das stimmt...“
„Schön, daß du das einsiehst... Und jetzt trockne dich ab, zieh deine Klamotten an und geh in dein Hotel. Mach den Mund zu, und sperr die Ohren auf! Hör zu, hör zu, wie Roger Nicolas immer sagt.“ Ich ahmte die Fistelstimme des bekannten Varietekünstlers nach. „Und wenn dir irgendwas merkwürdig vorkommt, erzähl’s mir. Im Moment hab ich Zeit genug. Also kann ich sie auch ausfüllen. Schließlich leb ich von geheimnisvollen Verbrechen, vor allem wenn ich schneller bin als die Flics.“
Ich legte noch ein paar Francs fürs Taxi drauf, damit sie abhaute. Nichts in der Welt konnte sie am Reden hindern, wenn’s ihr danach war. Aber ich konnte ihr doch nicht die Zunge rausreißen!
Als sie weg war, merkte ich, daß sie die Beute ihres nächtlichen Raubzuges bei mir vergessen hatte. Wie gewonnen, so zerronnen. Ich stellte den Gedichtband zu meinen anderen Büchern. Die Platte verschwand in einer Schublade, in der schon Plattennadeln geduldig warteten. Fehlte nur noch der Plattenspieler. Aber Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden.
Dann ging ich zum Telefon, das sich ausnahmsweise mal ruhig verhielt, und wählte.
„Hallo.“ Eine Frauenstimme.
„Hier Nestor Burma. Monsieur Grandier, bitte.“
Er hatte wohl genaue Anweisungen gegeben. Sekunden später brüllte er mir eines seiner „Ja?“ in die Ohren, wovon mein Trommelfell immer noch zittert.
„Haben Sie die Zeitungen gelesen?“ fragte ich ihn.
„Natürlich hab ich sie gelesen...“
Mit seiner Stimme konnte er spielend jede Konservendose öffnen.
„...Aber soviel ich weiß, hab ich Sie nicht engagiert, damit Sie mich so was fragen. Ich verlange eine Erklärung.“
„Wollte gerade damit zu Ihnen kommen.“
„Je eher, desto besser. Haben ja erst runde fünfzehn Stunden Verspätung.“
„Bin sofort da.“
„Moment! Nicht in mein Büro. Zu mir nach Hause.“
„Boulevard Raspail?“
„Ja.“
„So gut gefällt mir das Viertel gar nicht mehr.“
Er wischte den Einwand zur Seite:
„Hier geht’s nicht darum, was Ihnen gefällt oder nicht.“
Und legte auf.
* * *
Er wohnte in der Nähe des Hôtel Lutétia, im obersten Stockwerk eines prachtvollen Hauses, mit Blick auf das Militärgefängnis. Schon alleine deswegen war mir meine Wohnung lieber. Sobald er mich sah, ging er zum Angriff über:
„Burma, ich bin mit Ihnen nicht zufrieden!“
„Na ja“, parierte ich, „Sie sind eben kein Napoleon, das ist alles!“
Ohne seine Aufforderung abzuwarten, setzte ich mich. Jérôme Grandier blieb vor Überraschung der Mund offenstehen. Ein untersetzter Mann mit kurzen Beinen, auf dem Buckel muntere sechzig Jahre und auf dem Kopf das Toupet von Charles Boyer, dem er ziemlich ähnlich sah. Vor allem, wenn er seine dicke Hornbrille abnahm. Er war immer angezogen, als wollte er zu einer
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