No Copyright. Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht. Eine Streitschrift. (German Edition)
Handvoll Giganten an den Rand gedrängt zu werden. Mittlerweile wissen wir, dass das Gegenteil der Fall ist. In der Musikindustrie »ist der Marktanteil der sogenannten Independents im Digitalzeitalter sogar geschrumpft. Dass er im Gegenteil nicht zugenommen hat, obwohl die Technologie zur Produktion und zum Verkauf von Musik durch die Digitalisierung ausgesprochen preiswert geworden ist, gibt zu denken. Können Independents in diesem vielversprechenden Digitalzeitalter wirklich mit den Major Labels konkurrieren?« (Chiscenco 2009: 87)
Die Struktur der Musikmärkte hat sich beträchtlich gewandelt. Früher kam es vor allem auf die Kontrolle über die Produktion künstlerischer Erzeugnisse an, bei der Musik also auf die Kontrolle über die Schallplattenproduktion. Heutzutage ist die Kontrolle über den Vertrieb das Wichtigste. Und hier beherrschen drei oder vier große Unternehmen die gesamte digitale Arena. Der demokratische Abgeordnete Richard Blumenthal aus Connecticut ist im US-Senat Mitglied des Subcommittee on Antitrust, Competition Policy and Consumer Rights, also eines Unterausschusses, der sich mit Kartell- und Wettbewerbsrecht sowie mit Verbraucherschutz beschäftigt. Blumenthal zeigte sich jüngst von der Größe einiger weniger Netzgiganten alarmiert: »Google ist eine großartige amerikanische Erfolgsgeschichte, aber Googles Größe, seine Marktposition und seine Marktmacht geben mittlerweile Anlass zu fragen, wie das Unternehmen seine Geschäfte führt und welche Verantwortung mit einer solchen Macht einhergeht.« (In Google antitrust inquiry, echoes of Microsoft , IHT 19. September 2011) Wie der Wired -Chefredakteur Chris Anderson in seinem Buch Free vorrechnet: »Ein traditioneller Markt teilt sich ungefähr so auf: Die Nummer 1 hat etwa 60 Prozent aller Marktanteile, die Nummer 2 rund 30 Prozent und die Nummer 3 an die 5 Prozent. Doch in Märkten, die vom Netzwerkeffekt beherrscht werden, kann die Verteilung so aussehen: Nummer 1 hat 95 Prozent, Nummer 2 nur noch 5 Prozent, und Nummer 3 geht leer aus. Der Netzwerkeffekt bündelt die Macht, ›die Reichen werden immer reicher‹.« (Anderson 2009: 156)
Viertens könnte man angesichts solcher Befunde eigentlich erwarten, dass die Wettbewerbsbehörden einschreiten, die für ihre Arbeit immerhin strenge Gesetze im Rücken haben. In den USA ist das auch gelegentlich vorgekommen, zumindest öfter als in Europa, bis 1981 Ronald Reagan Präsident wurde. Dann änderten sich die Dinge: »Schlüsselpositionen in der Wettbewerbsaufsicht wurden mit Personen besetzt, die entweder direkt mit der Chicagoer Schule in Verbindung standen oder zumindest offen mit deren Lehrmeinung sympathisierten. Diese lautete, eine hohe Marktkonzentration habe insgesamt betrachtet nur wenige negative Konsequenzen, und Fusionen seien mehrheitlich effektivitätssteigernd und nur selten wettbewerbshemmend.« (Scherer 1989: 90) Bereitwillig folgte man in ganz Europa dem amerikanischen Beispiel.
Frank und Ryan Blethen von der Seattle Times haben dargelegt, dass die USA für diesen fröhlichen Optimismus einen hohen Preis bezahlt haben, etwa was Nachrichten und Informationen angeht. Indem sie eine hochgradige Medienkonzentration zugelassen habe, habe die US-Regierung sich einer von den Gründern der Nation in der Verfassung festgehaltenen Verpflichtung entzogen, so die Autoren. Diese Verpflichtung bestehe darin, »die freie Rede, einen lebendigen Meinungspluralismus und einen allgemeinen Zugang zu unabhängig recherchierten Nachrichten und Informationen zu schützen« (Blethen 2011: 198).
Fünftens kommen wir nun zu einem Punkt, über den wir schon seit Jahren immer wieder staunen. Anscheinend glaubt man in unseren westlichen Gesellschaften daran, dass Märkte offen für neue Teilnehmer sein sollten und dass einzelne Firmen den Markt im Hinblick auf Preise, Qualität und so weiter möglichst nicht beherrschen sollten. Gleiche Chancen und faire Rahmenbedingungen werden hierzulande für wichtig gehalten. Die entsprechende Gesetzgebung unterscheidet sich in den einzelnen Ländern teils beträchtlich (zwischen Wettbewerbs- und Kartellrecht bestehen nicht nur sprachliche Unterschiede), aber im Großen und Ganzen trifft man überall auf dieselben Elemente: Ein Unternehmen soll nicht durch geheime Absprachen Marktdominanz erlangen können. Es soll keine Raubtiermanieren an den Tag legen. Und Fusionen werden danach beurteilt, ob durch sie eine marktbeherrschende Stellung erlangt würde. In aller
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