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No & ich: Roman (German Edition)

No & ich: Roman (German Edition)

Titel: No & ich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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Baumarkt gegangen und hat Wäscheleinen gekauft, die ich in meinem Zimmer spannen möchte (um meine derzeitigen Testobjekte aufzuhängen), sie hat mit mir gebrauchte Metrofahrscheine aufgesammelt (weil ich herausfinden wollte, welcher Code benutzt wird und woran die Kontrolleure erkennen, ob ein Fahrschein gültig ist), sie hat mir geholfen, als ich in der Badewanne die Wasserdichtigkeit verschiedener Tupperware-Dosen testete. Anfangs spielte sie gern die Assistentin, überaus rasch reichte sie mir Pinzetten, Scheren und Behälter, inzwischen aber nimmt sie an meinen kleinen Unternehmungen aktiv teil, sie schlägt neue Vorgehensweisen und sogar Lösungen vor.
    Ich sehe deutlich, dass sie es an ihrer Arbeitsstelle nicht leicht hat, aber sie spricht nicht gern darüber. Vielleicht kann sie irgendwann etwas Besseres finden, in einem anderen Hotel oder anderswo, wenn sie ein bisschen Erfahrung gesammelt hat. Bis dahin geht sie jeden Morgen ins Dunkle hinaus und verbringt ihre gesamte Freizeit mit mir.

    Sie hat in einer Emmaus-Kleiderkammer neue Kleidungsstücke bekommen, einen sehr kurzen roten Rock und zwei enge Hosen. Meine Mutter hat ihr ein paar Pullover gegeben, sie trägt sie oft, den Blouson, den sie trug, als ich sie kennenlernte, wollte sie unbedingt behalten, meine Mutter hat ihn reinigen lassen, aber die Flecken sind nicht restlos verschwunden. Sie ist wegen der Wohnung noch einmal zur Sozialarbeiterin gegangen, aber mit ihrem halb schwarz gezahlten Lohn sind ihre Aussichten gleich null. Sie kann höchstens hoffen, in einer der Wiedereingliederungs-Einrichtungen unterzukommen, die für längere Wohnaufenthalte eingerichtet sind.
    Ich möchte nicht, dass sie weggeht. Ich erinnere sie daran, dass wir zusammen sind, sie hat es doch gesagt, das haben wir uns versprochen, wir sind zusammen, No, oder? Sie nickt und hört auf, ständig zu wiederholen, es könne nicht von Dauer sein.

L ucas schreibt mir Briefchen während des Unterrichts, er faltet die Zettel und schiebt sie mir zu. Awful!, als die Englischlehrerin einen seltsamen Rock mit Fransen und Perlen am Saum trägt, Der kann mich mal …, als ihm Monsieur Marin das x-te Ungenügend verpasst hat, Wo ist der Gnom?, als Gauthier de Richemont fehlt (ein nicht besonders hübscher Junge, den er hasst, seit dieser ihn bei der Direktorin wegen Rauchens auf der Toilette verpetzt hat).
    In Französisch verhält er sich still, selbst wenn wir Grammatik machen, das ist das Fach, in dem ich am besten aufpasse, ich hasse es, wenn man mich stört, ich konzentriere mich, damit mir bloß nichts entgeht. Madame Rivery gibt mir Extra-Aufgaben, es ist wie bei einem Logik- oder Ableitungsspiel, wie beim Sezieren ohne Leiche und Skalpell.
    Wer glaubt, Grammatik sei nur eine Gesamtheit von Regeln und Einschränkungen, irrt. Wenn man sich auf sie einlässt, enthüllt einem die Grammatik den verborgenen Sinn der Geschichte, sie verbirgt Unordnung und Verwahrlosung, verbindet die Elemente und vereint die Gegensätze, die Grammatik ist ein wunderbares Mittel, die Welt so zu organisieren, wie man sie gern hätte.

    Nachdem er mich mit tausend Anweisungen überschüttet hat, ist mein Vater für einige Tage auf Dienstreise nach Schanghai gefahren. Ich soll nicht so spät nach Hause kommen, meiner Mutter beim Kochen helfen und ihn beim geringsten Problem benachrichtigen.
    Er ruft jeden Morgen an, will mich sprechen und fragt besorgt, wie es meiner Mutter gehe, ob sie ohne ihn zurechtkomme. Ich gehe in ein anderes Zimmer, berichte ihm jede Einzelheit, um ihn zu beruhigen, ja, sie geht einkaufen und kocht, sie spricht, sie hat auf dem Marché Saint-Pierre Stoff gekauft, um die alten Kissen neu zu beziehen.

    Abends essen wir drei zusammen. Da mein Vater nicht da ist, essen wir all das, was er missbilligt, Hamburger, Pommes, Kroketten, aber das binde ich ihm am Telefon natürlich nicht auf die Nase. Meiner Mutter ist dieser ganze Ernährungs- und Gesundheitskram egal, sie hat andere Probleme.
    Gestern erzählte sie No, wie ich im Alter von vier Jahren innerhalb weniger Wochen lesen gelernt habe, erst die Etiketten der Müsli-, Waschpulver- und Kakaopackungen und danach Bücher. Dann erzählte sie von dem Tag, als ich vom Kühlschrank herunterfiel, ich war hinaufgeklettert, weil ich sehen wollte, wie der Boiler funktionierte, und von dem Tag, als ich mein Fisher-Price -Tonband in sämtliche Einzelteile zerlegte, um seine Funktionsweise zu verstehen. Von Nos Interesse ermutigt erzählte sie

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