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No & ich: Roman (German Edition)

No & ich: Roman (German Edition)

Titel: No & ich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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verlangt, sie wird seine Komplizin, geht ungeheure Risiken ein, sie vertraut ihm, sie liebt ihn und so, aber am Tag des Einbruchs entdeckt sie, dass er ohne sie wegwill, er hat nur ein einziges Flugticket gekauft. Trotzdem lässt sie ihn nicht im Stich, sie zieht es ganz durch, und am Schluss ist sie diejenige, die ihn rettet. Am Ende küsst er sie, und wahrscheinlich wird sie zum ersten Mal in ihrem Leben von einem Jungen geküsst, es ist eine wunderbare Szene, weil man weiß, er wird sie nicht verlassen, er hat begriffen, wie sie ist, wie stark und beständig.
    Im Dunkeln haben wir die Uhr nicht gesehen, es ist schon sehr spät, als wir bei Lucas aufbrechen, ich rufe meine Eltern an und sage, wir kämen gleich. Unterwegs sagt No nichts, ich nehme ihre Hand.
    »Irgendwas nicht in Ordnung?«
    »Nein, alles o.k.«
    »Willst du’s mir nicht sagen?«
    » …«
    »Hast du Angst, allein zu bleiben?«
    »Nein.«
    »Weißt du, wenn wir zusammen sind, musst du’s mir auch sagen, damit ich dir helfen kann.«
    »Du hast mir schon sehr geholfen. Das ist nicht das Problem. Aber du hast deine Eltern, deine Klasse, deine Familie, du hast dein Leben, verstehst du …«
    Ich spüre, dass meine Stimme zittrig wird.
    »Nein, das verstehe ich nicht.«
    »Doch, das verstehst du sehr gut.«
    »Aber du bist doch auch Teil meines Lebens. Du siehst es doch, du siehst doch, dass ich dich brauche … und außerdem … außerdem gehörst du zu unserer Familie …«
    »Ich gehöre nicht zu deiner Familie, Lou. Genau das musst du verstehen, ich werde nie zu deiner Familie gehören.«

    Sie weint. Sie steht im eisigen Wind und versucht, ihr Schluchzen zu unterdrücken.

    Wir gehen schweigend weiter, und ich weiß jetzt, dass ihr etwas zugestoßen ist, etwas, das man nicht sagen kann, etwas, das einen umwirft.

T ante Sylvies Haarknoten saß völlig schief. Ausnahmsweise gab sie meiner Mutter keine guten Ratschläge, wahrscheinlich hatte sie mit einem Mal begriffen, dass man nicht immer froh und munter wirken und sich um die Küche, den Haushalt, die Bügelwäsche, die Gespräche und alles kümmern kann, sie hat übrigens auch ihr allzeit bereites Lächeln verloren und vergessen, den Lippenstift aufzutragen, der den ganzen Tag hält. Ehrlich, es tat mir leid, sie in diesem Zustand zu sehen. Sie brachte es nicht einmal mehr fertig, mit meinen Cousins zu schimpfen, was diese weidlich ausnutzen, in ihrem Zimmer herrscht ein nie da gewesenes Chaos, und sie reagieren kaum, wenn sie nach ihnen ruft.
    Wie vereinbart, rief No an den ersten beiden Tagen an. An den letzten beiden hörten wir dann nichts mehr von ihr. Mein Vater versuchte, sie zu Hause anzurufen, aber sie ging nie dran, weder morgens noch abends, nicht einmal nachts. Er rief die Nachbarin aus dem Stockwerk darüber an, sie lauschte an der Tür, hörte aber nichts. Er beschloss, sich nicht verrückt zu machen, wir hatten vor, am Donnerstag nach Hause zu fahren, also würden wir am Donnerstag nach Hause fahren. Mir schien das unendlich lange hin zu sein, ich hatte nicht einmal mehr Lust, mit meinen Cousins zu spielen, dabei haben die immer haufenweise Ideen für Baustellen im Garten, für Tunnels, Bewässerungssysteme und botanische Lehrpfade, die tollsten Sachen, die man in Paris nicht machen kann. Ich saß die ganze Zeit drinnen und las Liebesromane, meine Tante hat eine ganze Sammlung, Mut zur Liebe, Flitterwochen auf Hawaii, Die Schöne und der Korsar, Célias Schatten und so weiter und so fort. Ich habe mich ein, zwei Mal auf einen Spaziergang eingelassen und mich am Gemüseputzen und ein paar Trivial-Pursuit-Runden beteiligt, um meine Anwesenheit unter Beweis zu stellen. Meine Eltern kümmerten sich intensiv um meine Tante, stundenlang hörte man sie diskutieren, der reinste Kriegsrat.
    Mit einem dicken Seufzer der Erleichterung stieg ich ins Auto, und dann war da wieder der kleine Knoten in meinem Bauch, während der ganzen Fahrt wuchs und wuchs er, ich hielt nach den Schildern mit der Entfernung bis Paris Ausschau, wir kamen nicht weiter, wir verloren Zeit, dabei war ich mir sicher: Es war ein Rennen gegen die Uhr. Die meisten Leute sagen hinterher, sie hätten böse Vorahnungen gehabt. Sobald sich erweist, dass sie recht hatten. Aber ich hatte echte böse Vorahnungen, vorher.
    Mein Vater legte unterwegs Klassik-CDs ein, es ging mir auf die Nerven, denn er hört immer trauriges Zeugs mit glasklaren Stimmen, die einem zeigen, wie sehr die Welt in Unordnung ist. Meine Mutter war

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