Noah: Thriller (German Edition)
sich kleidete oder was sie gerne aß. Ihre politische Gesinnung war ihm ebenso unbekannt wie ihre sexuellen Vorlieben. Wenn er mit ihr sprach, war es so, als würde er sich mit einem Navigationssystem unterhalten. Bislang hatte ihm das auf seinen Einsätzen immer geholfen. Er brauchte die Distanz, um in Ruhe arbeiten zu können. Dass die Frau sich wegen der Erwähnung des Hundes jetzt so aufregte, machte sie menschlicher und gab ihr einen Charakter. Altmann bezweifelte, dass ihm diese Entwicklung gefiel.
»Ja, ein Welpe.«
»Und der hat Sie gestört? Ein Welpe?«
»Nicht mich. Den anderen.«
Wie ich von meinem Versteck hinter dem schweren Leinenvorhang aus beobachten konnte.
»Haben Sie den Mann identifiziert?«
»Ich hab Ihnen gerade ein Foto geschickt.«
»Gut.«
»Was jetzt? Soll ich ihn durchsuchen oder die Verfolgung aufnehmen?«
»Wieso haben Sie Letzteres nicht längst getan? Hatten Sie die ganze Zeit über denn keine Möglichkeit, das Objekt zu liquidieren?«
Doch. Zahlreiche.
Ich hätte Noah in den Kopf schießen können, als er aus dem Bad kam. Oder ins Genick, als er den Hund unter dem Bett hervorgezogen hat. Ich hätte ihn sogar noch am Fahrstuhl einholen können.
»Nein«, log Altmann.
Er hatte seine Prinzipien. Wenn ein Einsatz unübersichtlich wurde, stellte er jegliche Aktivitäten ein, bis die Lage sich geklärt hatte. Von dieser Vorgehensweise war er kein einziges Mal abgewichen, und er glaubte fest daran, dass das einer der Gründe war, weshalb er mit einundvierzig Jahren noch im Geschäft war.
»So ein Mist, heute geht aber auch alles schief«, ließ sich die Frau zu einer weiteren unprofessionellen Aussage hinreißen.
»Was denn noch?«, fragte Altmann.
»Zaphire.«
»Was ist mit ihm?«
Die Einsatzleiterin seufzte. »So wie es aussieht, wird er leider durchkommen.«
23. Kapitel
Lupang Pangako, Metro Manila, Philippinen
Das Morgenlicht brach sich in der Glasscherbe und zauberte einen Regenbogen auf das Gesicht des kleinen Mädchens, das am Rande eines Abfallhaufens mit den Teilen einer zerbrochenen Flasche spielte. Shala war nackt, ihr Hintern kotverkrustet. Wie so viele litt die Zweijährige an dem Durchfall, der gerade in Lupang Pangako grassierte.
Alicia überlegte kurz, ob sie auf ihrem Weg innehalten und das Mädchen nach seiner Mama fragen sollte, die normalerweise, wenn es nicht gerade regnete, zwischen den Bretterbuden mit ihrer Tochter im Freien saß und die Jeans zusammennähte, die ein Händler jeden Morgen in den Slum brachte. Hosen, von denen es hieß, sie würden in großen Schiffen über den Pazifik bis nach Amerika gebracht werden und dort für unglaubliche fünfundzwanzig Dollar verkauft werden. Pro Stück! Manche sogar noch teurer, aber Alicia konnte das Gerücht nicht glauben. Allerdings hatte sie in dem begehbaren, klimatisierten Kleiderschrank der Bankiersvilla in Forbes Park, in der sie einmal als Putzhilfe hatte aushelfen dürfen, ein Paar Schuhe gesehen, die laut Preisschild auf dem Karton über zweitausend Dollar gekostet haben sollten. Ein Geschenk zur Feier des Tages, wie die Dame des Hauses ihr erklärt hatte, weil ihr Mann zwanzig Millionen mit einer Wette auf steigende Getreidepreise gewonnen hatte. Alicia hatte nur höflich gelächelt und kein Wort verstanden.
»Hey, was ist nur los mit dir?«, riss Marlons Stimme sie aus den Gedanken. Ihr Cousin, der auf dem Pfad zwischen den Hütten mit Jay vorausgegangen war, kam zurück und zeigte auf das Bündel Mensch, das vor Alicias Brust hing. Sie hatte eine Plastiktüte in mehrere Streifen geschnitten und daraus eine bequeme Bauchtrage gebunden, in der sie Noel am Herzen trug. Für einen Moment war sie wieder in der Villa gewesen und hatte dem Chauffeur die Tür aufgemacht, der die Tochter des Hauses von der Privatschule abgeholt hatte. Jetzt war der Tagtraum vorbei, das kolonialstilartige Anwesen mit seinem weißen Marmor-Entree verschwunden. Sie fühlte wieder das Loch in ihren Flipflops, spürte den Dreck zwischen den Zehen, roch den fauligen Abfall, hörte das Wummern der Hubschrauber über ihrem Kopf.
»Was willst du von ihr?«, fragte ihr Cousin und zeigte auf Shala, die vor dem Müllberg hockte, als wollte sie gerade Pipi machen. »Kümmer dich lieber um dein eigenes Baby!« Marlon zog sie weiter. Weg von dem kleinen schwarzhaarigen Mädchen mit den traurigen Augen, das ihr mit der Scherbe in ihrem dreckigen Fäustchen winkte, während Alicia Marlon und Jay hinterhereilte. Seitdem
Weitere Kostenlose Bücher