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Noah: Thriller (German Edition)

Noah: Thriller (German Edition)

Titel: Noah: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Marlon ihnen vor dem Aufbruch eine Schüssel Reis organisiert hatte, über deren Herkunft Alicia gar nicht nachdenken wollte, war zumindest Jays und auch ihr größter Hunger gestillt. Ohne die wenigen Happen hätte sie weder ihrem Sohn noch sich selbst den Marsch zur »Hauptstraße« zumuten wollen.
    Dabei war der Begriff »Straße« für die Hauptader des Slums ebenso unpassend wie die Bezeichnung »Leben« für das Dasein, das die Menschen hier fristeten. Von den geschätzten fünfundvierzigtausend Seelen, die allein in diesem Abschnitt von Quezon City vor sich hin vegetierten, hatten sich einige Hundert auf den Weg gemacht. Männer, Frauen, Kinder – sie alle wollten sich ein Bild von der Lage machen und den Dingen auf den Grund gehen: weshalb die Hubschrauber nun auch nach Tagesanbruch noch unaufhörlich über ihren Köpfen kreisten. Ihre Rotorblätter zerschnitten die feuchtheiße Luft, wirbelten Müll auf, rissen unbefestigte Dächer von den teilweise doppelstöckigen Verschlägen und trieben den beißenden Abfallgestank durch die verschlungenen Pfade.
    Von der Luft aus betrachtet hatte die Payatas-Deponie die Form einer gewaltigen, nach links gekippten Acht. Alicias Elendsviertel füllte die linke Gürtelmulde dieser Acht mit losen Wellblech- und Bretterbauten aus. Im Norden, Osten und Süden wurde dieser Bereich folglich durch die Müllkippe begrenzt. Im Westen teilte eine befahrbare Straße namens Bicol das Viertel von einem nicht weniger trostlosen Abschnitt ab.
    Alicia marschierte mit Noel, Jay und Marlon in westliche Richtung auf die dünnste Stelle der Acht zu, wo sich die Brücke befand, die ihr Sohn jeden Morgen überschreiten musste, wenn er auf die Halde wollte. Der Zugang zur Deponie, der gleichzeitig der Hauptausgang des Slums war. Normalerweise konnte man diesen Übergang über einen verpesteten Abwasserkanal schon von weitem sehen, doch heute verstopften unzählige Menschen den staubigen Zuweg. Es war wie vor zwei Monaten, als sie gegen die Schließung der Müllkippe und ihre Umsiedlung demonstriert hatten, nur dass die Stimmung heute noch aufgewühlter, noch viel gereizter war. Und es gab kein Durchkommen. Die Menge stand wie eine Wand.
    »Sie sperren alles ab«, schrie ein junger Mann, der sich seinen Weg zurück bahnte, augenscheinlich, um die hinteren Reihen zu informieren. Er trug ein zerschlissenes AC/DC-T-Shirt und sah so aus, als hätte er geweint, die vertrauten Nebenwirkungen der Plastikdämpfe. Auch er war ein Aasgeier, der heute nicht auf die Deponie kam.
    Alicia konnte kaum glauben, was er zu berichten hatte.
    »War vorne, an der Brücke. Stacheldrahtzäune. Haben die ausgerollt.« Der Mann, der ihr schon einmal in der Schlange vor dem Trash-Store aufgefallen war, in dem man seinen gesammelten Plastikmüll abgeben konnte, war außer Atem und sprach im Stakkato-Rhythmus.
    »Einmal rum. Überall. Stacheldraht. Um die ganze Halde. Und Panzer.«
    Erschrocken tastete Alicia nach dem Köpfchen ihres Babys. Noel hatte etwas getrunken, aber viel zu wenig. Sie spürte eine Mulde in seinem Kopf, die Fontanelle war so tief eingesunken wie noch nie.
    »Panzer?«
    »Ja. Und Soldaten. Mit Maschinengewehren. Feuerbereit. An allen Ein- und Ausgängen.«
    »Aber ich muss doch raus«, sagte sie und hörte ihre eigene Verzweiflung.
    Mein Baby braucht Hilfe. Ich muss zum Hospital.
    Jetzt ärgerte sie sich, dass sie nicht gleich auf Marlon gehört und sofort mit ihm gegangen war. Aber Noel hatte auf einmal wieder an ihrer Brust gesaugt, wenn auch nur für etwa fünf Minuten. Dann war er wieder eingeschlafen, um nach einer weiteren halben Stunde erneut sein Glück zu versuchen. So ging es bis zum Morgengrauen. Alicia hatte Angst gehabt, ihr Baby selbst von diesen kargen Mahlzeiten abzuhalten, wenn sie sich sofort mit ihm auf den Weg machte. Erst als Noel wieder apathischer wurde und nur noch leise wimmerte, ohne an ihre Brust zu wollen, hatte sie sich endlich aufgerafft.
    »Wir finden schon einen Weg«, sagte der siebenjährige Jay mit ernster Miene. Mittlerweile waren aus den Seitengassen so viele Menschen zu ihnen gestoßen, dass eine Umkehr immer schwieriger wurde. Der Slum war erwacht und mit ihm die Angst.
    »Lass es uns Richtung Bicol versuchen«, entschied Marlon und wies in die Richtung, aus der sie gekommen waren, da mischte sich plötzlich ein dumpfes, röhrendes Geräusch in das Flap-Flap-Flap der Hubschrauber. Alicia sah nach oben und entdeckte einen kleinen Punkt in dem wolkenlosen Himmel

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