Noah: Thriller (German Edition)
über ihnen, der immer größer wurde.
»Was ist das?«, fragte Jay.
Immer mehr Menschen legten den Kopf in den Nacken, schirmten die Augen vor der schräg einfallenden Sonne ab. Starrten hinauf zu der Cessna, die direkt auf die Slumbewohner abzustürzen drohte. Eine Welle der Panik baute sich auf. Die Menschenmasse kam in Bewegung, drängte nach hinten, fort von dem Übergang. Alicia hörte Schreie. Kinder, Frauen. Ein Schuss fiel, was die Lage noch verschlimmerte. Jetzt stoben die Menschen in alle Richtungen, überrannten ihre Hinter- oder Vordermänner. Nahmen keine Rücksicht mehr auf Schwächere, so wie auf Alicia, die die Hand von Jay loslassen musste, um sich hinter eine halbfertig gemauerte Steinwand zu retten. Hier kauerte sie sich zu Boden, während das Dröhnen des Flugzeugs immer lauter wurde. Schirmte ihr Baby mit beiden Händen ab.
Und fühlte den Regen.
Feinen, nach Ammoniak riechenden, gelblichen Sprühregen.
Als die Motorengeräusche wieder leise wurden, wagte sie aufzustehen und der abdrehenden Cessna hinterherzuschauen.
»Was war das?«, hörte sie Jay neben sich schreien, der es geschafft hatte, seiner Mutter nicht von der Seite zu weichen. Nur Marlon schien verschwunden.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Alicia und rieb sich den klebrigen Film dieser unbekannten Substanz von der Haut, die der Pilot des Flugzeugs gerade aus den Tanks über ihnen abgelassen hatte.
24. Kapitel
Berlin
Das Taxi war bitterkalt, wofür sich der Fahrer entschuldigte, als sich Noah und Oscar bei ihm auf die Rückbank quetschten.
»Zwei Stunden schon steh ich mir hier die Reifen in den Tank. Und da Benzin bald mehr kostet als Champagner im Puff, kann ich es mir nicht leisten, den Motor laufen zu lassen. Wo wollen Sie denn hin?« Der Mann sah in den Rückspiegel. »Wehe, es ist nur ’ne Kurzfahrt!«
»Bahnhof Zoo«, antwortete Noah, weil es das einzige Ziel war, das ihm einfiel. Der Zugang zu Oscars Versteck befand sich in der untersten Ebene des U-Bahnhofs, in einem Fußgängertunnel zwischen den Linien U2 und U9. Nach all den Vorfällen konnte Noah nur hoffen, dass der Platz noch sicher war.
Und dass wir nicht verfolgt werden. Von wem auch immer.
Er drehte sich um, konnte aber niemanden durch die Rückscheibe ausmachen. Die Zufahrt vor dem Hintereingang des Adlon, von der sie sich gerade entfernten, war menschenleer.
»Zoo ist nicht grad Schönefeld«, murrte der Fahrer. »Aber immer noch besser als meine letzte Tour.« Den Mann, den eine im Lüftungsschlitz steckende Visitenkarte als Helmut Koslowski auswies, schien der merkwürdige Aufzug seiner zugestiegenen Kundschaft nicht zu stören. Während Noah mittlerweile wieder etwas unauffälliger aussah – geduscht, rasiert und im dunklen Anzug –, glich Oscar einem aus einer psychiatrischen Klinik entlaufenen Patienten. Auf ihrer Flucht durch die Nobeldiskothek im Keller des Adlon, in die sie der Lastenfahrstuhl geführt hatte, war er in der Dunkelheit kaum aufgefallen. Erst als sich auf den Treppen zum Ausgang das Gedränge lichtete, hatten die Besucher angefangen zu tuscheln. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass ihnen ein kurzwüchsiger Halbnackter im Bademantel entgegenkam.
»Der Typ hat mir den Wagen vollgekeimt«, erzählte der Fahrer weiter von seinem letzten Gast. Er drehte den Regler für die Heizung in den roten Bereich, aber im Moment kam nur kalte Luft durch die Schlitze. Sie passierten die amerikanische Botschaft. Noah sah das Brandenburger Tor zu seiner Rechten und musste den Rucksack mit Toto festhalten, damit er in der Kurve nicht vom Sitz rutschte.
»Hat die drei Minuten bis zur Charité über wie ein Tuberkulosekranker gehustet. War blöd von mir, den mitzunehmen, was? Ich meine, bin ja kein Krankenwagen, und erst gestern hat uns die Zentrale ein Infoblatt gemailt, was wir wegen der neuen Grippe und so zu beachten haben.«
Koslowskis Blick wanderte in den Rückspiegel. Der Gedanke, auch seine neuen Gäste könnten eine zweifelhafte Fracht darstellen, schien ihm nicht zu kommen. Das Taxi war ein achtsitziger japanischer Minivan mit Schiebetüren, und sie hatten in der letzten Reihe Platz genommen. Verdeckt von den Rückenlehnen der Vordersitze hatte der Fahrer nur eine eingeschränkte Sicht, weswegen Noah jetzt unbeobachtet den Koffer zu seinen Füßen öffnen konnte.
»Zieh dir das an«, flüsterte er und reichte Oscar eine Unterhose, ein Paar Socken, ein Anzughemd und eine schwarze Flanellhose.
Das Taxi beschleunigte auf der
Weitere Kostenlose Bücher