Nobels Testament
davonkommen«, sagte Bertstrand. »Journalisten sind wie die meisten Männer, und Flugzeuge sind ohnehin viel sexyer als Gesetzesparagrafen, oder etwa nicht?«
Der Chef stöhnte laut und setzte sich an seinen Schreibtisch.
»Wir müssen das jetzt richtig anpacken«, sagte Bertstrand. »Es ist wichtig, dass wir die richtigen Aussagen treffen und dass sonst am besten nichts gesagt wird.«
Er lächelte ein wenig.
»Wie war das noch gleich mit dem kleinen Kerl, Abrahamsson? Neun Monate alt, richtig? Haben Sie schon mal überlegt, ein bisschen mehr Zeit mit ihm zu verbringen?«
Anton Abrahamsson nickte bloß, denn sprechen konnte er nicht mehr.
Die Sonne wärmte bereits. Es würde ein schöner Tag werden, der erste Sommertag.
Annika drehte eine kleine Runde über das Grundstück, während die Kinder sich die Schuhe anzogen.
Das neue Blumenbeet vor dem Loch in der Hecke war offengestanden nicht besonders hübsch geworden. Die Blumen sahen traurig und mitgenommen aus, sie lehnten sich schlapp aneinander, und sie standen zu dünn. Über den Sommer würden sie hoffentlich kräftiger und ein bisschen fülliger werden.
Die Schwiegermutter hatte die Nase gerümpft und gefragt, ob sie den Kindern beim Pflanzen nicht hätte helfen können.
»Ich habe sie gepflanzt«, hatte Annika geantwortet. »Findest du, es sieht hässlich aus?«
Und Doris Samuelsson hatte das Thema gewechselt.
Kalle kam ihr schlurfend entgegen, ergriff ihre Hand und bohrte seine Nase in ihre Jeans.
»Ich möchte heute zu Hause bleiben, Mama«, sagte er.
»Wieso das denn?«, fragte sie und beugte sich zu ihm hinunter. »Fühlst du dich krank, oder bist du einfach müde?«
»Ich möchte zu Hause bleiben«, wiederholte er.
»Ich muss doch wieder arbeiten«, sagte Annika und strich ihm über den Rücken. »In ein paar Wochen hat Papa Ferien, dann kannst du fast den ganzen Sommer mit Papa zu Hause bleiben, das wird doch schön.«
Der Junge nickte. Hand in Hand ging sie mit ihm zum Jeep.
Ellen war allein auf den Rücksitz geklettert, Annika half ihr, den Sicherheitsgurt anzulegen, und fuhr los.
Bei der Kita angekommen, lief die Kleine mit Poppy und Ludde unter dem Arm davon und ließ einen Redeschwall auf die Angestellten los, aber Kalle drückte sich weiter im Auto herum.
»Was ist los, Kalle?«, fragte Annika. »Warum willst du nicht reingehen?«
»Komm«, sagte Lotta, die Lehrerin, die für seine Aufnahme in die Vorschule verantwortlich war. »Du bist heute so zeitig hier, dass du vor dem Frühstück noch ein bisschen an den Computer darfst. Magst du?«
Der Junge nickte, nahm Lotta bei der Hand und verschwand im Gebäude.
Hilf ihm, dachte Annika. Hilf ihm, wo ich versage. Bitte, pass auf meine Kinder auf, wenn ich es nicht selber kann.
Sie stieg ins Auto und fuhr nach Hause, ihr letzter freier Tag.
Sie räumte das Frühstücksgeschirr ab. Sie schrieb einen Einkaufszettel für das Abendessen. Sie kochte sich einen Kaffee. Sie stellte sich ans Küchenfenster, sah hinaus und spürte wieder den Druck in ihrer Brust. Dann stellte sie ihren Becher in die Spüle und ging an den Computer.
Am Abend zuvor hatte sie versucht, draußen auf der Terasse zu arbeiten, aber der neue Akku machte Probleme, und sie musste in der Nähe einer Steckdose im Haus sitzen.
Das Arbeitszimmer war klein und vollgestopft. Thomas’ Unterlagen und Bücher und Anweisungen lagen überall. Sie fragte sich, ob sein Büro im Ministerium ebenso unordentlich war. Schnell stapelte sie die Dokumente auf dem Schreibtisch auf einen Haufen, rückte Thomas’ Rechner zur Seite und stellte ihren eigenen in die Mitte des Tisches.
Sie startete das Internet und rief die Seite des
Abendblatts
auf. Dort war so viel Geblinke und Geblitze und fliegende Buchstaben, dass sie die Seite verkleinern musste, um sie lesen zu können.
Der Sonntag war einigermaßen ereignislos verlaufen. Gerüchte besagten, dass Prinzessin Madeleine segeln lernen wolle, die Popsängerin Darin war einem sexuellen Überfall ausgesetzt gewesen, in Borlänge war einem Achtzehnjährigen ins Bein geschossen worden, und Zlatan hatte ein Tor geschossen.
Nichts über Caroline von Behring.
Nichts über den Nobelmord.
Es war, als wäre er nie passiert.
Auf der Nobelpreis-Gala?,
sagten die Menschen bereits.
Ist da nicht jemand gestorben? Über das Geländer in den Mälar gefallen, oder wie war das noch gleich?
Sie konnte sich selbst kaum noch erinnern. Nach nur einem halben Jahr waren die Erinnerungen getrübt. Die Musik
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