Nobels Testament
deutete auf einen Kühlschrank gleich links neben der Tür.
Thomas schüttelte den Kopf, folgte Per Cramne ans andere Ende des Raumes und setzte sich. Um ihn herum saßen sieben oder acht Beamte, die auch schon an den vorhergehenden Besprechungen teilgenommen hatten und offenbar auch dieser beiwohnen würden.
Er räusperte sich vorsichtig.
Soll ich Kalle erwähnen?, dachte er. Der Minister hat doch Kinder, er würde es sicher verstehen.
Jimmy Halenius beugte sich vor und sprach leise mit dem Minister, der aufmerksam zuhörte und sich Notizen machte.
Thomas blickte sich um, ohne allzu nervös zu erscheinen.
Die anderen Kinder haben ihn hinuntergeschubst, seine Spielkameraden fügten ihm solches Leid zu, dass er ins Krankenhaus gebracht und
genäht
werden musste?
Ein runder Birkentisch bestimmte das Erscheinungsbild des Raumes, der Boden war von einem achteckigen, blaugrauen Teppich bedeckt. Der Minister und seine Mitarbeiter saßen nebeneinander, hinter ihnen hing ein großes Gemälde, das eine Küstenlandschaft zeigte. Es war völlig grau, wie bei richtig schlechtem Wetter.
Die werde ich mir zur Brust nehmen, dachte Thomas. Niemand vergreift sich ungestraft an meinem Sohn.
An einer Wand war ein großer Kamin, darauf standen zwei Flaggen, die Schwedens und der EU. Um den Tisch herum und entlang der Wand waren Stühle in Birke und hellem Leder aufgereiht. Er schaute an die Decke, vorbei an dem runden Sockel mit weißen Porzellanlampen. Genau hier drüber lag das Büro des Ministerpräsidenten.
»Könnten Sie den Inhalt kurz zusammenfassen«, sagte Halenius.
Thomas richtete sich auf. Hastig und stolpernd brachte er die Hauptpunkte des Vorschlags vor, in dem die Arbeit des vergangenen halben Jahres steckte.
Kalle, lieber Himmel, ich bin unterwegs! Ich helfe dir wieder auf die Füße!
Der Minister las und blätterte und notierte.
»Es ist gut, dass die Wahrung der Rechte hervorgehoben wird«, sagte er. »Alle Abgehörten sollen das Recht auf juristischen Beistand haben, jeder Lauschangriff soll vom Gericht beschlossen und jeden Monat überprüft werden. Das ist gut.«
Schweigend blätterte er und las einige Sekunden.
»Einen Punkt des Vorschlags möchte ich allerdings streichen«, sagte er. »Präventives Abhören auf Seite dreiundvierzig. Damit gehen wir zu weit.«
Birger Jarlagatan, dachte Thomas, da müsste man um diese Uhrzeit schneller vorankommen als über Sveavägen oder Valhallavägen.
»Seite dreiundvierzig«, sagte Cramne leise neben ihm, und Thomas spürte die Wärme in seinem Gesicht aufsteigen, während er zur betreffenden Seite weiterblätterte.
»Wir beschränken die Präventivmaßnahmen auf das Abhören von Telefonen und das Offnen von Briefen«, sagte der Minister. »Lauschangriffe schlagen wir zur Aufklärung bereits geschehener Verbrechen vor. Gut!«
Er legte die Mappe zur Seite und griff zur nächsten, und wie auf ein Zeichen erhoben sich Cramne und die meisten anderen Beamten.
War es vorbei?
Konnte er jetzt los?
»Jetzt ist der Staatsschutz dran«, zischte Cramne, »da müssen alle Außenstehenden raus.«
Thomas beeilte sich, seine Unterlagen zusammenzupacken, und eilte hinter den anderen her.
»Ich muss weg«, keuchte er. »Mein Junge hat eine Gehirnerschütterung, ich muss ihn ins Krankenhaus fahren.«
»O weh«, sagte sein Chef. »Bleibt es denn dann beim Essen heute Abend?«
»Natürlich«, erwiderte Thomas und brachte ein Lächeln zustande. Er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat.
»Ach, übrigens«, sagte Cramne, »stimmt es, dass Halenius kommt?«
»Ja, er hat zugesagt.«
»Also«, sagte Per Cramne, stellte sich dicht neben Thomas und senkte die Stimme. »Üblicherweise lädt man die Politikheinis nicht ein, nur dass Sie Bescheid wissen …«
Thomas’ Gesicht brannte, der Referatsleiter trat wieder einen Schritt zurück.
»Also um acht? Vintervägen, Djursholm?«
Das Schloss summte, und Thomas drückte die Tür auf.
»Vinterviksvägen«, sagte er und floh durch das Foyer.
Annika betrat die Redaktion, und wieder überfiel sie ein merkwürdiges Gefühl. Alles war vertraut und gleichzeitig fremd, als hätte jemand in ihrer Handtasche gewühlt und die Sachen in die falschen Fächer zurückgelegt. Sie ließ den Blick auf dem mit blauen Gardinen versehenen Glaskasten ruhen: ihr ehemaliges Büro, das neue Radiostudio.
Ich frage mich, wo meine alten Artikel und Urteile und Stifte gelandet sind, dachte sie.
Berit saß mit Computerbrille an ihrem Laptop
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