Nobels Testament
herrschte totales Chaos, da lagen Zeitungen und Kleider auf einem Haufen, in einer Ecke stand ein Fahrrad. Annika ging in die Küche und goss Wasser in ein Glas, trank gierig und füllte es noch einmal.
»Das war so unangenehm«, sagte sie. »Ich bin gerade in Sophia Grenborg gerannt.«
»Das Betthäschen?«, sagte Anne. »Wo denn?«
»Gleich hier um die Ecke, nur eine Straße weiter«, sagte Annika. »Sie wohnt ja hier, ein Stück die Grev Turegatan hinunter.«
Sie deutete mit dem Glas ungenau Richtung Süden.
»Was war denn so unangenehm?«, fragte Anne, ließ den Morgenmantel auf den Boden gleiten und ging ins Bad. Darunter trug sie einen Stringtanga und einen weißen, durchscheinenden Spitzen-BH.
Annika blieb einen Moment in der Küche stehen und kühlte sich mit dem Glas die Stirn.
»Ich habe Albträume«, sagte sie leise. »Ich träume, dass ich sie umbringe, dass sie tot ist. Ich habe Angst vor ihr, und ich hasse sie. Deshalb war es unangenehm.«
Anne erschien in ihrem Unterwäscheensemble im Türrahmen, blauen Lidschatten auf einem Augenlid.
»Ich hoffe, du hast keine Dummheiten gemacht«, sagte sie und sah Annika mitleidig an.
Annika holte tief Luft und seufzte.
»Nein«, sagte sie, »das habe ich nicht. Ich habe ihr nur meine Meinung gesagt.«
Anne, die auf dem Weg zurück ins Bad war, steckte noch einmal den Kopf herein.
»Das ist nicht wahr, Anka«, sagte sie. »Was hast du gesagt?«
Annika warf den Kopf in den Nacken.
»Ich habe mich vorgestellt und gesagt, mit wem ich verheiratet bin. Dann habe ich nur noch gefragt, ob sie findet, dass mein Mann gut im Bett ist.«
Anne starrte sie mit offenem Mund an, dann schloss sie die Augen und ließ die Stirn dreimal gegen den Türrahmen donnern.
»Du bist irre«, sagte sie und sah Annika in tiefstem Unglauben an. »Wie dumm kann man eigentlich sein? Hm? Hast du das tatsächlich getan? Gefragt, ob sie findet, dein Mann sei gut im Bett? Hm?«
Annika füllte ihr Glas nach und widerstand dem Impuls, sich das Wasser über den Kopf zu kippen.
»Das nenn ich eine Blamage«, sagte Anne und rang die Hände. »Du hast dich total blamiert! Weißt du, was du soeben getan hast? Du hast Sophia Betthäschen Grenborg den Beweis dafür geliefert, wie verdammt wichtig sie ist. Du hast ihr bestätigt, dass sie Bedeutung hatte, du hast Benzin in eine Glut gekippt, die seit Ewigkeiten so gut wie erloschen war. Himmel, Annika, manchmal bist du wirklich saublöd.«
Sie wandte sich um und ging ins Bad.
»Ich hab mich gar nicht blamiert«, sagte Annika, aber sie merkte selbst, wie unsicher sie klang.
»O doch«, sagte Anne Snapphane, »und das weißt du ganz genau. Wahrscheinlich hat sie Thomas nichts bedeutet, er scheint sie ja immerhin abgesägt zu haben. Sie war nur zufällig zur Stelle, und er hat die Möglichkeit genutzt. Jetzt hast du sie zu etwas ganz anderem emporgehoben, du hast sie zu einer
Very Important Person
gemacht, zu jemandem, der deine Familie jeden Tag und jede Stunde beeinflusst. Das war ja wohl überflüssig wie nur was.«
»Aber das tut sie«, wandte Annika ein.
»Falsch«, sagte Anne aus dem Bad. »Sie beeinflusst
dich,
sonst niemanden, und das findet einzig und allein in deinem Kopf statt. Du hättest lieber zu einem Therapeuten gehen sollen, als auf der Straße über sie herzufallen.«
Annika schüttete das Wasser in den Ausguss. Ihre Wangen glühten.
»Können wir jetzt mal mit deinem Vortrag anfangen?«, fragte sie.
Anne Snapphane kam in die Küche, geschminkt bis zum Anschlag.
»Das tut mir leid«, sagte sie, »aber Robin hat angerufen. Wir gehen in den Salsaklub.«
»Wer?«, fragte Annika und fühlte sich völlig unbeholfen.
Anne schlüpfte in ein atemberaubendes, blutrotes Salsakleid, das sie aus dem Haufen auf dem Boden gefischt hatte, und wandte Annika den Rücken zu.
»Sei so lieb und mach mir den Reißverschluss zu, ja? Hab ich dir nicht von Robin erzählt?«
Annika zog den Reißverschluss zu, und Anne wirbelte herum, dass das Kleid flog.
»Er ist einfach himmlisch!«, sagte sie und vollführte ein paar Tanzschritte im Flur. »Süß wie ein Stück Zucker und nur fünfundzwanzig Jahre alt, aber tanzen tut er wie ein ganzer Kerl.«
»Und der Vortrag?«, sagte Annika hohl.
»Können wir das Ende der Woche machen? Das hier ist
die
Gelegenheit für mich!«
Annika stand in Anne Snapphanes Flur und betrachtete die Unordnung um sich herum. Gedanken und Bilder jagten ihr durch den Kopf wie ein Film im Schnellvorlauf: das bleiche
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