Nobels Testament
Ordnung«, sagte Q, »aber mir ist klar, dass ich Sie nicht länger abhalten kann.«
Annika blätterte in ihrem Block zurück und überflog noch einmal ihre Notizen.
»Noch mal
off the record
«
,
sagte sie. »Könnte
The Kitten
Johan Isaksson umgebracht haben?«
Q seufzte und beobachtete die Enten, die sich um den Keks stritten.
»Vermutlich«, sagte er. »Die Vorgehensweise passt zu ihrem Profil. Effektiv, perfekt geplant, aber keine direkte Gewalteinwirkung. Sehr genau und professionell.«
Annika nickte langsam.
»Sie hat Wiesel nicht getötet«, sagte sie.
»Er war einfach nur im Weg«, sagte Q. »Sie hat ihm ins Bein geschossen, um das Ziel, also von Behring, erreichen zu können, und hat sie mit einem Schuss erledigt. Die Jungs draußen hat sie angeschossen, um sie unschädlich zu machen, nicht, um sie zu töten, einen Schuss auf jeden.«
»Was ist mit Ernst Ericsson?«, sagte Annika. »Hat sie ihn auch umgebracht?«
»Nein«, sagte Q.
»Nicht?«, fragte Annika. »Warum nicht?«
Sie klopfte ein paarmal mit dem Stift auf die Tischplatte und blickte über Norr Mälarstrand. Dann legte sie ihn auf ihren Notizblock.
»Der Mord an Ernst Ericsson war eine viel größere Sauerei«, sagte sie schließlich leise. »In seinem Fall hatte jemand etwas gegen ihn persönlich. Jemand hat ihn richtig widerlich zugerichtet, nicht wahr?«
Q sah sie an, ohne eine Miene zu verziehen.
»Uff«, machte Annika und schauderte. »Haben Sie Lars-Henry Svensson wieder auf freien Fuß gesetzt?«
»Schon heute Morgen. Er hat nichts mit Ernst Ericssons Ableben zu tun.«
»Und daran ist nicht zu rütteln?«
»Das ist niet- und nagelfest.«
Q erhob sich.
»Bis Mitternacht haben Sie das Kätzchen exklusiv. Dann beraumen wir für acht Uhr früh eine Pressekonferenz an, also wird ab den frühen Morgenstunden so manches durchsickern.«
»Ach, das ist doch Mist«, sagte Annika aufgebracht und gestikulierte mit den Armen. »Jetzt habe ich ein halbes Jahr dichtgehalten, und dann bleiben mir zwei Minuten, um die ganze Story zu schreiben.«
»Wie ich Sie kenne, haben Sie die ganze Story schon längst in acht verschiedenen Versionen in ihrer hässlichen Tasche«, sagte Q, nahm einen Zahnstocher und ging.
Wir sind einander ein wenig zu ähnlich geworden, dachte Annika.
Sie fuhr in die Redaktion und packte zum zweiten Mal an diesem Tag ihren Laptop aus. Dann loggte sie sich in ihr Online-Archiv ein und rief die diversen Artikelversionen auf, die sie, diesen Fall betreffend, geschrieben hatte. Es waren nicht acht, sondern drei. Die erste Version kam direkt zur Sache und schilderte von vorn bis hinten, was Q ihr an dem Tag erzählt hatte, als sie von der Zeitung freigestellt worden war. Der zweite Entwurf war länger und ausführlicher, Teile davon würde man in den nächsten Tagen gut als Fortsetzung bringen können.
Sie kopierte den Text in Scoop, das Textverarbeitungsprogramm der Redaktion. Sie las ihn noch einmal sorgfältig durch, fand noch ein paar Schreibfehler und änderte den Teil, der das Handy des Komplizen betraf. Sie speicherte alles auf ihrer Festplatte und entschied sich, auch noch die restlichen Artikel fertig zu machen, ehe sie alles zusammen auf dem Redaktionslaufwerk speicherte.
Sie rief den Artikelentwurf über Johan Isaksson auf. Sein Tod war eine Randnotiz in den Medien gewesen, man hatte ihn als tragisches Unglück deklariert. Sie vervollständigte ihren Text mit einigen Sätzen, die erläuterten, dass die Polizei eine Verbindung zwischen dem toten Doktoranden und dem Nobelmord gefunden hatte. Jetzt musste sie den Artikel noch einmal durchgehen und anonymisieren. Üblicherweise enthüllte man die Identität einer Person nicht, wenn bekannt wurde, dass sie Teil einer polizeilichen Ermittlung war. Die Verwandten und alle im Labor würden selbstverständlich wissen, dass es in diesem Fall um Johan Isaksson ging, aber der breiten Masse würden die Informationen über seine Identität vorenthalten, jedenfalls für kurze Zeit.
Jemanden als Mordopfer darzustellen war eine ernste Sache.
Schließlich öffnete sie noch den eher fragmentarischen Entwurf eines Artikels über den Mord an Ernst Ericsson. Die Sauerei mochte groß gewesen sein, aber solange sie nicht wusste,
wie
groß, war dafür in der morgigen Ausgabe kein Platz. Sie speicherte die Dateien auf dem gemeinsamen Laufwerk. Da flogen die Texte dahin und landeten im großen Kasten, der Startbox für die Zeitung von morgen.
Sie betrachtete die
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