Nobels Testament
lauschte.
Irgendwo brüllte eine Alarmanlage. Hörte sich an wie Kohlendioxidalarm. Der wurde immer dann ausgelöst, wenn in einem Inkubator der Kohlendioxidgehalt zu niedrig war und die Flaschen ausgetauscht werden mussten. Während des Frühlings hatte das ganze Labor gegen Pilzbefall und Zelltod gekämpft, und nun würden die Zellen eines armen Teufels ebenfalls verrecken, wenn niemand sie rettete.
Er ließ die Tür hinter sich zufallen und folgte dem Geräusch. Das Piepen wurde immer lauter. Als er den hintersten Flur erreichte, entdeckte er ein Mädchen mit Laborkittel und Pferdeschwanz, das in der Schleusentür zu einem Zelllabor stand. Es sah verzweifelt aus.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte er, und das Mädchen fuhr auf.
»
Oh shit
«
,
rief es und sah ihn erschreckt an. »
You scared the hell out of me. Can you turn this thing of?
«
Offenbar war sie Amerikanerin.
»Das ist der Kohlendioxidalarm«, sagte er auf Englisch. »Hast du schon versucht, die Flasche zu wechseln?«
»Gibt es mehr als zwei?«, fragte sie und öffnete die Tür, sodass er die Laborschleuse betreten konnte.
Er ging hinüber zur Anlage rechts von der Labortür und überprüfte den Druckmesser.
Beide Flaschen waren leer, irgendjemand war so nachlässig gewesen und hatte die Reserveflasche nicht ausgewechselt.
»Das Gas ist ausgegangen«, sagte er. »Man muss an Werktagen zwischen acht und neun Uhr anrufen, um die Flaschen auswechseln zu lassen. Das ist Pech. Sorry.«
Das Mädchen sah aus, als würde es jeden Moment losheulen.
»Aber was soll ich denn mit meinen Zellen machen?«, fragte es. »Ich habe doch letzte Woche erst eine neue Ladung bekommen, und dann diese ganzen Probleme mit Pilz und dem Scheiß, bald habe ich keine Chance mehr. Der Kohlendioxidgehalt im Inkubator ist schon runter auf 1,1 Prozent. Die halten doch nie bis Montag durch. Was soll ich denn jetzt machen?«
Sie sah so verloren aus mit ihren großen Clogs und ihrer dicken Brille, dass er einfach bleiben musste.
»Hast du mal geschaut, ob es in irgendeinem anderen Labor noch Reservegas gibt?«, fragte er.
Sie sah ihn noch erschrockener an.
»Aber, das kann ich doch nicht einfach tun.«
Er lächelte und unterdrückte den Impuls, ihr die Hand auf die Schulter zu legen.
»
Well
«
,
sagte er. »Du kannst die Reserveflasche aus meinem Labor ausleihen. Ich bin im nächsten Flur rechts.«
»
No kidding?
«
,
fragte sie skeptisch und nahm die Brille ab. Ihm fiel auf, dass sie richtig süß aussah. Ziemlich weit oben auf der rechten Wange hatte sie eine rote Narbe, die aussah wie ein kleiner Vogel.
»Natürlich«, sagte er. »Ich helfe dir beim Auswechseln. Kannst du mir den mal rübergeben?«
Er deutete auf einen Wechselschlüssel, der genau zu diesem Zweck auf der Heizung hinter den Gasflaschen lag.
Sie folgte ihm durch den Flur, sah mit großen Augen dabei zu, wie er das Ventil verschloss und die Gasflasche vom Druckmesser löste. Er stellte sie auf ein kleines Wägelchen.
»Die ist verdammt schwer«, sagte er entschuldigend, als er mit der Flasche loszog. Sie an ihrer Anlage anzuschließen dauerte nicht einmal drei Minuten.
Gut, dass ich immer so viel an meinem Moped rumgeschraubt habe, dachte er und legte den Schlüssel zurück auf die Heizung.
Als im Inkubator der Kohlendioxidgehalt so weit gestiegen war, dass der Alarm verstummte, standen ihr vor Glück beinahe Tränen in den Augen.
»Wie kann ich dir danken?«, fragte sie. »Darf ich dich zum Essen einladen?«
Johan Isaksson lachte ein wenig schüchtern.
»Ich muss heute Abend arbeiten«, sagte er. »Leider.«
»Aber ein kleines Bier geht doch«, sagte sie. »Ich bin hier gleich fertig. Bitte, trink doch eine kleine
cerveza
mit mir.«
Sie hielt den Kopf ein bisschen schräg und klimperte mit den Wimpern.
Er lachte, diesmal wesentlich unbeschwerter.
»Ein kleines Bier kann ja eigentlich nicht schaden«, sagte er.
Sie klatschte in die Hände und hüpfte ein paarmal auf und ab, dass ihr Pferdeschwanz tanzte.
»Super! Warte, ich hole es …«
Sie verschwand in ihrem Labor und tauchte mit zwei amerikanischen Budweiser in der Hand wieder auf.
»Ich hoffe, du magst Yankee-Bier«, sagte sie und zog den Laborkittel aus. Sie reichte ihm das Bier, kickte sich die Clogs von den Füßen und schlüpfte in ein paar hochhackige Lederstiefel.
»Cilla«, las er auf den Holzschuhen, die sie neben die Schleusentür stellte. »Bist du das?«
»
Shit, no!
«
,
sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen.
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