Nobels Testament
Bürostuhl zusammen, erschöpft von einer Anspannung, der sie sich kaum bewusst gewesen war.
Dazugehören. Einen Platz haben. Am Dienstag, schon am Dienstag …
Ich hätte mich für den Kampf entscheiden sollen, dachte sie. Wie konnte ich nur daran denken, das aufzugeben, was ich habe, alles zu verkaufen, was ich erreicht habe?
Sie räusperte sich, streckte den Rücken und drückte probeweise auf die Tastatur. Sie rief Google auf, die Seite war in nur einem Augenblick komplett geladen.
Verglichen mit ihrer alten Kiste zu Hause, war das wirklich ein guter Computer.
Sie klickte auf
wiederholen
und suchte nach dem richtigen Stichwort.
Caroline von Behring
suchen.
17 100 Treffer, viel mehr als zu ihren Lebzeiten.
Als du mächtig und lebendig warst, hat sich keiner für dich interessiert, dachte Annika. Als Mordopfer und tot bist du umso spannender.
Die meisten Treffer waren kurze Notizen in unterschiedlichen Medien, aber es waren auch noch neue Interessenten hinzugekommen. Frauenverbände und diverse Forschungsgruppen hatten Seiten zum Gedenken an Caroline eingerichtet, und das Nobelkomitee hatte eine eigene Rubrik angelegt, wo ihre Arbeit dokumentiert und kommentiert wurde. Außerdem gab es noch ein Diskussionsforum, wo man mit Passwort registriert sein musste, um teilnehmen zu können.
Annika suchte nach
Nobelkomitee.
10 800 Treffer, die meisten davon bezogen sich auf Nachrichten.
»Das Nobelkomitee stach in ein Wespennest« lautete ein Artikel, der den Entschluss des norwegischen Friedensforschungsinstituts Prio beleuchtete, dem FN-Organ IAEA vor ein paar Jahren den Friedenspreis zu verleihen.
Ihr Blick blieb jedoch an einem anderen Eintrag, ganz unten auf der ersten Seite, haften. Der Beitrag kam aus einem Diskussionsforum, verfasst von jemandem, der sich »Pelle Svanslös« nannte.
»Heute erfuhr ich die Wahrheit über die Entscheidung, Professor Ernst Ericsson zu von Behrings Nachfolger im Nobelkomitee zu machen: Es war ein Hauen und Stechen«, las Annika. »Eine Gruppe sah es als selbstverständlich an, dass der Stellvertretende Vorsitzende Sören Hammarsten die Nachfolge antreten würde, andere waren der Ansicht, dass Ernst zupacken und in von Behrings Sinne weitermachen sollte. Wir wissen ja, wie es endete, Ernst hat gewonnen, und jetzt warten wir auf die Fortsetzung. Der Kampf der Giganten …«
Die Männer von der Pressekonferenz, dachte Annika, da oben weht ein kalter Wind. Und wer zum Teufel war Pelle Svanslös?
Sie tippte »Pelle Svanslös«,
suchen.
73600 Treffer.
»Pelle Svanslös« und »Nobel«,
suchen.
392 Treffer, darunter auch Kinderbuch.com. Sie blätterte durch die Seiten, konnte aber keine Hinweise darauf finden, wer Pelle war.
Sie schrieb »Alfred Nobel«,
suchen.
Fast eineinhalb Millionen Treffer. Sie klickte auf einen der ersten Links, www.nobelprize.org, dann weiter am linken Rand, bis sie schließlich in einem Artikelarchiv über den Erfinder landete. Dort fand sie Material über seine frühe Kindheit (arm), seine Ausbildung (ausschließlich Privatlehrer), seine Erfindungen (viele, gefährliche, geniale). Und sie entdeckte einen Artikel über seine Liebe zur Literatur und seine unbeholfenen Versuche in dieser Kunstrichtung. Alfred Nobel hatte ein Theaterstück geschrieben, eine Geschichte über ein kleines Mädchen, das vom Vater missbraucht wurde. Es wurde als schlecht geschrieben abgetan und niemals aufgeführt. Das Drama hieß
Nemesis,
Vergeltung, und handelte von der Rache des jungen Mädchens an ihrem Vater, den es schließlich umbrachte. Sie hieß Beatrice Cenci und wurde für ihr Verbrechen zum Tode verurteilt. Sie wurde am 11. September 1599 geköpft …
Annika sah auf.
Beatrice Cenci?
Wieder
dieses Datum?
Geköpft in Rom? Nemesis, Vergeltung?
Ihr dämmerte, dass sie wusste, wie Beatrice Cenci ausgesehen hatte. Sie war eine Kindfrau mit unsagbar traurigen Augen, die sich über die Schulter umblickte und den Betrachter prüfend von Ebba Romanovas Bibliothekswand herunter ansah.
»Hier bist du! Erzähl, wie ist es gelaufen?«
Berit kam mit großen Schritten auf sie zu.
»Äh«, machte Annika. »Ja, doch, klasse.«
»Was ist passiert?«, sagte Berit und warf einen fragenden Blick auf Annikas neuen PC.
»Ich bleibe«, sagte Annika und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Offiziell bin ich ab Dienstag, den 1. Juni, wieder im Dienst.«
»Aber das ist ja super!«, sagte Berit. »Bist du bis dahin sehr beschäftigt, oder sollen wir am Montagnachmittag
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