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Noble House 02 - Gai-Jin

Noble House 02 - Gai-Jin

Titel: Noble House 02 - Gai-Jin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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Sir William es verbieten könnte, da Angélique und ich minderjährig sind. Und wenn sie ihn formell benachrichtigt hat, wird er es Seratard sagen müssen. Sie hat gewonnen… Gott möge sie verfluchen!«
    Wieder richtete er den Blick auf den Horizont. Wenn früher eine Katastrophe passierte, zum Beispiel damals, als sein Bruder und die Zwillinge ertranken, hatte er immer gedacht, seine Mutter gebe ihm die Schuld und irgendwie wäre es nicht passiert, wenn er dagewesen wäre. Dann hatte er das Gefühl gehabt, weinen zu müssen, wie jetzt, aber er hatte die Tränen unterdrückt, und das machte den Schmerz noch größer und das elende Gefühl noch schrecklicher. Er hatte das getan, weil ›ein Tai-Pan niemals weint‹. Das hatte sie ihm immer eingebleut. Das waren die ersten Worte von ihr, an die er sich erinnerte: »Der Tai-Pan weint nie, er steht darüber, er kämpft weiter, wie Dirk. Er weint nie, er trägt die Bürde.« Wieder und wieder hatte sie das gesagt, obwohl sein Vater sehr leicht weinte.
    Mir war nie klar, wie sehr sie ihn verachtete.
    Sie weint nie, ich kann mich an kein einziges Mal erinnern.
    Ich werde nicht weinen. Ich werde die Bürde tragen. Ich habe geschworen, daß ich des Tai-Pan würdig sein werde, und so wird es sein. Nie wieder wird sie für mich ›Mutter‹ sein. Nie wieder. Tess. Ja, Tess, ich werde es tragen.
    Sein Blick richtete sich auf Jamie. Er fühlte sich sehr alt und sehr einsam. »Also, gehen wir an Land.«
    Jamie machte den Mund auf, brachte aber keinen Ton heraus. Sein Gesichtsausdruck war seltsam. Dann zeigte er auf den gegenüberliegenden Sitz. Weitere Postpakete lagen dort.
    »Was ist das?«
    »Das… das ist Wee Willies Post. Bertram, dem neuen Laufburschen der Gesandtschaft, war so übel, daß ich gesagt habe… ich würde ihnen ihre Post holen.« Jamies Finger zitterten genauso wie seine Stimme. Er nahm das große Bündel Briefe in die Hand. Die gekreuzte Verschnürung trug in der Mitte das Siegel der Regierung, doch man konnte trotzdem die Ecken der Sendungen durchblättern, und es war leicht, ihre beiden Briefe zu finden. An Sir William und Admiral Ketterer. »Wenn wir… ein bißchen Zeit und Glück haben, dann könnten Sie… könnte ich… sie vielleicht herausnehmen.«
    Die Haare in Malcolms Nacken schienen sich zu sträuben. Die Königliche Post zu berauben war ein Vergehen, für das man gehängt werden konnte.

34
    Die beiden Männer starrten auf das Briefbündel. Die Kajüte war bedrückend eng. Malcolm sagte nichts und beobachtete Jamie, der schwieg. Sie waren beide bleich. Dann traf Jamie die Entscheidung für ihn, seine zitternden Finger zerrten an der Schnur, doch das brachte Malcolm zu einem eigenen Entschluß. Er streckte die Hand aus, packte das Bündel und hielt ihn auf. »Nein, Jamie, das dürfen Sie nicht.«
    »Es ist… es ist die einzige Möglichkeit, Tai-Pan.«
    »Nein, ist es nicht.« Malcolm zog die Schnur wieder gerade, erleichtert, daß das Siegel nicht gebrochen war, glättete die Briefe und legte sie auf den anderen Stapel zurück. Ihre Berührung war ihm verhaßt. »Es ist einfach nicht richtig«, sagte er, und seine Stimme war so schwach wie seine Knie. Er verachtete seine Schwäche – war es Schwäche? »Ich würde mir nie verzeihen, wenn Sie… wenn Sie erwischt würden, und, tja, ich habe einfach nicht den Mut, ganz davon abgesehen, daß es nicht richtig ist.«
    Jamies Gesicht war schweißnaß. »Richtig oder nicht, es braucht keiner zu erfahren. Wenn wir es nicht tun, haben Sie keine Chance. Vielleicht können wir einen Kapitän finden, vielleicht sogar einen von Brock’s, sie haben nächste Woche ein Schiff.«
    Malcolm schüttelte benommen den Kopf. Eine Welle drückte das Boot gegen die Balken und ließ die Taufender quietschen. Mühsam zwang er sich, sich zu konzentrieren. Sein ganzes Leben lang, wann immer er in verzwickten Lagen war, fragte er sich stets, was Dirk Struan getan hätte – aber er fand nie eine wirkliche Antwort.
    Schließlich sagte er sehr müde: »Was hätte er getan, Jamie? Dirk Struan?«
    In seiner Erinnerung war Jamie sofort wieder bei diesem unbekümmerten Riesen von Mann und der Zeit, als er ihn gesehen hatte oder für wenige Minuten in seiner Gesellschaft gewesen war – er selbst war damals noch sehr jung und gerade erst angekommen. »Er hätte…«, nach einem Augenblick begann er zu lächeln, »er hätte… Dirk hätte… ja, das ist es. Ich denke, er hätte uns und den Bootsmann an Land befohlen und wäre

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