Noble House 02 - Gai-Jin
erwähnen, rasch zog sie neue Schlüsse: Diese Hinodeh ist eine zusätzliche Sicherheit für mich. »Ich werde Jamie um einen Vorschuß bitten.«
»Da ist doch das Geld, von dem Sir William sagte, Sie könnten es behalten, zweihundertdreiundsechzig Guineas, nicht wahr, aus dem Tresor?«
»Ja, davon ist ein wenig übrig.« Sie sah hinaus aufs Meer, um der verstörenden Intensität seines Blicks auszuweichen; sie fragte sich, woher er das wußte, und suchte ihr Erschrecken vor diesem anderen André mit seiner lauernden Hysterie zu verbergen. Dumm, sich so zu verhalten; ist ihm nicht klar, daß unser Schicksal miteinander verbunden ist? Aber er ist verliebt, also verzeihe ich ihm. »Ich habe einiges nach Hause geschickt.«
»Ich setze mich für Sie, Angélique, jeden Tag bei Henri ein. Sie werden Mündel des Staates, da ist er sicher. Henri ist wichtig für Ihre Zukunft, er und der Botschafter werden in dem kommenden Kampf für Sie eintreten, dafür garantiere ich. Es war sehr klug von Ihnen, hier zu bleiben und zu warten, das ist sicherer und besser«, sagte er, und sie erinnerte sich, wie er ihr vor gar nicht langer Zeit gesagt hatte, es sei sehr wichtig, daß sie abreise.
Er beobachtete sie; es war schwer, durch den Schleier etwas zu erkennen. Er dachte wieder an die unterschriebene eidesstattliche Erklärung, die er zusammen mit seinem Testament im Tresor des britischen Gesandten deponiert hatte, da er Seratard nicht traute – für den Fall, daß ihm etwas zustoßen sollte. Die Erklärung, die von dem Liebesakt mit dem Tokaidō-Mörder und der Abtreibung berichtete – wann und wie sie bewerkstelligt und der Beweis beseitigt wurde – sowie vom Tod des Mörders. Dann war da noch die zweite Seite des Briefes, den ihr Vater ihr vor Monaten geschrieben und den er in ihrer Gegenwart zerrissen, hinterher aber wieder zusammengeklebt hatte, die Seite, die jeden Ehevertrag platzen lassen würde, dem Tess Struan vielleicht zustimmte, wenn man ihr wirklich die Daumenschrauben anlegte – all das konnte er benutzen, wenn es nötig war. Angélique war sein einziger Paß zum Besitz von Hinodeh und zu einer komfortablen Zukunft.
Raiko und Meikin und der Kauf und Verkauf von Geheimnissen? Ein Hirngespinst, mußte er sich bitter eingestehen. Ich habe ihnen den ganzen Plan für den Feldzug verraten, und was habe ich dafür bekommen? Leere Versprechungen – und keine Chance, diese gegen meine andere Schuld einzutauschen. »Einhundert«, sagte er, zu müde und zu wütend, um bitte zu sagen.
Sie wandte den Blick nicht von Meer. »Wie lange werde ich warten müssen? Bis Tess handelt?«
»Das hängt davon ab, wie Tess die Nachricht aufnimmt, und was sie bei der Beerdigung tut. Sie wird dreißig Tage abwarten und schauen, ob Sie schwanger sind oder nicht, bevor sie entscheidet«, sagte er mit sachlicher Stimme und hätte sie gerne wieder von ihm abhängig gesehen. »Geben Sie zehn Tage dazu, bis diese Nachricht sie erreicht. Zehn zum Nachdenken, zehn, um eine Botschaft zurückzuschicken. Etwa zwei Monate, vielleicht weniger.«
»Was wird das für eine Botschaft sein?«
»Eine bösartige.« Seine Augen verengten sich. »Aber ich habe da ein paar Ideen. Ich kann helfen, Sie zu einer reichen Frau zu machen. Aber wir müssen warten, für eine Weile können wir nichts tun, als nur warten. Geduld, Angélique, Geduld und ein bißchen Glück… Ich habe Ideen.«
Ich auch, André, du Erpresser. Viele. Und Pläne. Für dich, Tess und für die Zukunft.
Sie beugte sich zu ihm hinüber und berührte ihn fast zärtlich. »Ich bin so froh, daß Sie eine Liebe haben, die Sie auf Händen tragen können. Das ist ein Segen«, sagte sie und meinte es ernst. Dann schob sie, wir nur eine Frau es vermag, diese Zärtlichkeit für immer beiseite. »Das Geld wird Sie um sechs Uhr erwarten. André – ich bin froh, daß Sie mein Freund sind.«
»Ich bin auch froh… danke für das Darlehen.«
»Also müssen wir wieder geduldig sein, wir beide, und warten, ja? Ein bißchen Glück und Geduld? Ich kann geduldig sein. Ein bißchen Glück und Geduld. Gut, dann soll es so sein.«
Er blickte ihr nach, als sie ging. Trotz ihrer bezaubernd zierlichen Figur wirkte sie groß.
F ÜNFTES B UCH
51
Dienstag, 1. Januar 1863
Yoshi Toranaga war nach einem Gewaltmarsch von der Herberge Hamamatsu aus müde und zornig wieder in der Burg von Edo eingetroffen.
Die Falten in seinem Gesicht hatten sich vertieft. Früher hatten Männer Angst vor ihm
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