Noch ein Kuss
wunderte ihn nicht. Es verunsicherte ihn zwar ein wenig, aber was machte das schon, wenn alles um ihn herum in die Binsen zu gehen schien?
Seine Karriere – ach zum Teufel, sein Leben war ruiniert. Eigentlich hatte er ganz andere Sorgen als die Beziehung dieser zwei völlig gegensätzlichen Charaktere. Trotzdem machte er sich Gedanken um die beiden beteiligten Personen … auch wenn er eine davon erst seit einer Woche kannte. In drei Wochen würde er ihr Schwager sein.
»Mike?«
Eine leichte Berührung am Arm ließ ihn aufschrecken. »Ja?«
»Alles in Ordnung? Du wirkst so … ich weiß nicht, als wärst du weit weg.«
Mike lächelte. »Mir geht’s gut. Und du solltest ein wenig schlafen.«
Carly nickte und sah mit ihren tiefbraunen Augen zu, wie er zur Tür ging. Doch als er sich noch einmal umdrehte, stand sie plötzlich dicht hinter ihm, und ihr unverkennbares Parfüm, das ihn einhüllte, sorgte für eine alles andere als nur freundschaftliche Regung. Leicht berauscht erinnerte er sich an den Moment, als sie ihn am Revers gepackt hatte und ihm mit den Hüften entgegengekommen war. Er hatte sich kaum davon abhalten können, ihr an die Brust zu fassen, sie an sich zu ziehen und sich tief in ihr zu vergraben. Und wenn sie nicht an einem öffentlichen Ort gewesen wären, hätte er es sicher getan.
Das brauchte er diesmal nicht zu bedenken – aber viel zu viel anderes. Sie waren sich einfach zu nahe gekommen. »Verflucht nochmal«, murmelte er. Solche Schwierigkeiten konnte er nicht gebrauchen. Was war bloß aus seiner Bruderliebe geworden? Und seiner Loyalität?
Er dachte an Pete, der sich aus völlig falschen Gründen für diese Frau entschieden hatte, denn der einzige richtige Beweggrund für eine Heirat war Liebe, ein Gefühl, das sein Bruder, wie er selbst zugegeben hatte, nicht für Carly empfand. Die ganze Situation war ein einziges Chaos, etwas, auf das er gut verzichten konnte. Wenn er klug war, vergaß er, dass er Carly Wexler jemals getroffen hatte.
Doch als er in ihre wunderschönen Augen schaute, wurde ihm klar, dass er sie ebenso wenig vergessen würde wie diesen unschuldigen Blick. Spontan berührte er ihren Pony. Ihr Haar war sehr fein und seidig. Mike beugte sich vor und küsste sie zart.
Sie schmeckte wunderbar, süß, mit einem Hauch Champagner. Er zögerte einen Moment, riss sich dann aber zusammen, ehe er die Kontrolle verlor. »Pass auf dich auf, Carly.«
Dann zwang er seine Füße, sich in Bewegung zu setzen und ging, ohne sich noch einmal umzusehen.
Ohne Mike fühlte Carly sich in ihrer Wohnung so einsam wie in einem Gefängnis, daher suchte sie Zuflucht in ihrem Schlafzimmer – dem einzigen Raum in dem kleinen Appartement, in dem Mike nicht gewesen war.
Am Fußende ihres Betts blieb sie stehen und schaute auf den Zeitungsartikel, den sie noch nicht ganz durchgelesen hatte. Diese Frage brauchte sie sich eigentlich nicht zu stellen, und bis Peters Weltenbummler-Bruder aufgetaucht war, hatte sie es auch nicht getan.
Sie hatte sich auf ein unkompliziertes und angenehmes Leben mit Peter gefreut. Wobei das wichtigste Wort war. Sie verfolgten dieselben Ziele: Ehe, Familie und Karriere, wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Zudem hatten sie, dank Peters Arbeit für ihren Vater, auch denselben Freundeskreis. Und obwohl Pete wie Roger Wexler Rechtsanwalt war, hatte sie sich stets darauf verlassen, dass sie ihn im Büro finden würde, wenn er vorgab, lange arbeiten zu müssen – und nicht im Bett einer anderen.
Reginas Gesicht tauchte vor ihrem geistigen Auge auf und Carly schob es hastig beiseite. Es kam häufig vor, dass Menschen, die zusammenarbeiteten, sich anfreundeten. Wie konnte es auch anders sein, bei den vielen Stunden, die sie miteinander verbrachten? Aber sie und Peter teilten etwas viel Wichtigeres. Der Wohlfühlfaktor, auf den sie so großen Wert legte, war in ihrer Beziehung immer gegeben gewesen, konnte sie sich verlassen – und er auch.
Carly schloss die Augen, doch statt an ihren Verlobten dachte sie nur an Mike, an sein tiefes Lachen, sein attraktives Gesicht und seinen gut gebauten Körper. Sie fasste sich an die Lippen. Wenn sie daran dachte, wie er sie geküsst hatte, begannen sie leicht zu prickeln. Plötzlich schämte sie sich.
Sie war so kurz davor gewesen …
Um ein Haar wäre sie in die Fußstapfen ihres Vaters getreten.
Wie konnte sie so unvernünftig sein und vergessen, dass Leidenschaft alles zerstörte? Sie nahm die Zeitung und starrte
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