Noch ein Kuss
Fingern. Sie hatte beschlossen, in der kurzen Zeit, die ihnen noch blieb, nicht gegen seine Anziehungskraft anzukämpfen.
»Die Luft ist rein«, rief Mike etwas später unter lautem Klopfen durch ihre Tür. Überrascht sah Carly auf ihre Armbanduhr. Es war halb sieben.
»Komm rein«, rief sie, ohne aufzuschauen.
»Ich dachte schon, Pete würde gar nicht mehr gehen«, stöhnte Mike. Und wenn er seinem Bruder nicht Schläge angedroht hätte, wäre er vielleicht immer noch da.
Carly antwortete nicht. Sie hatte sich umgezogen und trug nun ein eng anliegendes Blümchenkleid, das ihn an fröhliche Sommertage denken ließ. Mit gesenktem Kopf hämmerte sie auf die Tastatur ihres Laptops ein. »Ich habe mich nicht versteckt«, sagte sie schließlich, immer noch ohne aufzuschauen.
»Dann habe ich mich wohl getäuscht.« Bei einem schnellen Rundumblick bemerkte Mike mehrere Stapel Papier, Ratgeberbücher und eine zerknüllte braune Essenstüte. »Hast du heute viel geschafft?«, fragte er.
Carly schaute von der Tastatur hoch. »Ich bin recht zufrieden.« Sie sah sich einmal kurz nach ihm um, vermied jedoch jeden Augenkontakt.
»Vielleicht sollte ich meinen Bruder öfter vorbeikommen lassen. Seine Gegenwart scheint dich zu stimulieren.«
»Was?« Verblüfft sah sie ihm direkt in die Augen.
»Natürlich nur deinen Verstand«, erklärte Mike grinsend. »Er stimuliert deinen Verstand.« Er klopfte sich an den Kopf und lachte. Wenigstens hatte sie ihn endlich direkt angesehen.
»Oh.«
Carly errötete, eine Reaktion, die ihn zwangsläufig an ihre erste Begegnung erinnerte. Und an ihren ersten Kuss. Was zu noch intimeren Rückblicken führte. »Wie war der Burger?«, fragte er, hauptsächlich, um sich abzulenken.
»Geil.« Carlys Gesicht wurde noch eine Nuance dunkler. »Ich meine, gut. Danke, dass du an mich gedacht hast.«
Mike zuckte die Achseln. »Kein Problem. Ich denke ständig an dich.« Er kam auf sie zu und blieb vor ihr stehen.
Carly begegnete seinem Blick. Jedes Mal, wenn er in diese braunen Augen schaute, war er betroffen von ihrer Verletzlichkeit.
»Es tut mir leid, dass ich mich vorhin so benommen habe«, sagte sie. »Es gab keine Veranlassung dafür, und ich entschuldige mich. Wir wissen doch beide, wie es ist. Ich habe kein Recht, dir deswegen Vorwürfe zu machen.«
Mike ging in die Hocke und nahm ihre Hand. »Unser erster Streit ist kein Grund, dich zu entschuldigen.« Sein Daumen beschrieb kleine Kreise auf dem Punkt an ihrem Handgelenk, an dem ihr Blut pochte. Als Carlys Puls in die Höhe schnellte, lächelte er zufrieden in sich hinein.
»Warum nicht?«
»Hin und wieder zu streiten ist ein gutes Zeichen. Jeder vernünftige Psychologe weiß das.«
Mike sah gerade noch rechtzeitig auf, um mitzubekommen, wie Carly grinste und sich mit der Zunge über die Lippen fuhr. Die nervöse Anspannung, die von ihr ausging, ließ ihn auf die Geste warten, die so typisch für sie war. Es konnte nicht mehr lange dauern, dachte er. Carly strich sich die Ponyfransen aus den Augen. Bingo. Mike unterdrückte ein Lachen. Da er nie zuvor eine so gefühlsbetonte Beziehung gehabt hatte, wunderte er sich immer noch, dass er sich so gut in einen anderen Menschen hineinversetzen konnte.
»Ist das der einzige Grund?«, fragte Carly.
»Natürlich nicht.«
»Und was spricht noch dafür?« Ihre Stimme klang ungewöhnlich heiser, daher vermutete er, dass sie die Antwort schon ahnte.
Es war erstaunlich, wie gut sie die Gedanken des anderen lesen konnten. »Ich habe nichts gegen altbewährte Kniffe. Das Beste daran ist die Versöhnung.« Damit fasste er Carly am Arm und zog sie an sich. Sie ließ sich widerstandlos hochreißen und mit ihm zusammen auf den Boden fallen.
Alles andere als graziös landete sie auf Mike und er küsste sie auf den Mund.
»Mike.« Ihren warmen Atem zu spüren, war genauso schön, wie seinen Namen aus ihrem Mund zu hören.
»Was?«, fragte er, während er kleine Küsse auf ihre Kinnlinie hauchte.
»Hast du schon mal darüber nachgedacht, wann du … « Ehe Carly die Frage aussprach, die er sich selbst ständig stellte, drückte Mike seine Lippen auf ihre, schob seine Zunge in ihren warmen Mund und ergötzte sich an dem erregenden Gefühl.
Doch selbst dieser intime Kontakt konnte nicht verhindern, dass ihre unvollendete Frage an ihm nagte. » Die Vorstellung war kaum zu ertragen. Er würde gehen, weil er musste – aber nicht, ohne einen Teil von sich bei ihr zu lassen.
Überraschenderweise
Weitere Kostenlose Bücher