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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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auf meinem kleinen Gut die Nägel. Nicht etwa, daß ich müßig war, ich setzte die Befestigung meines Anwesens nach dem Vorbild von Mespech fort und bestellte nach der guten hugenottischen Wirtschaftslehre meine Äcker, die ich in den vergangenen Jahren dank der Freigebigkeit meines Herrn hatte mehren können. Auch kann ich nicht sagen, daß mir die Zeit selbst in dieser Einöde jemals lang wurde, ich wußte den Zauber meines Hausstands durchaus zu genießen. Angelina, meine schönen Kinder, meine Bücher, meine Ausritte in den Wald von Montfort-l’Amaury, unsere Abende im großen Saal mit einigen Nachbarn, kleinen Edelleuten, reicher an ländlichen Tugenden als an Geld, all das wäre genug gewesen zu meinem Glück, hätte nur der Wille meines Herrn mich seinem Dienst nicht ferngehalten. Dieser Dienst aber war mir, wie ich sah, mittlerweile zum Stoff meines |363| Lebens geworden war, konnte ich doch, indem ich dem König diente, beitragen zur Erhaltung des Staates, zur Wahrung des Friedens und zum Sieg der Toleranz.
    Hafen der Gnade! Wie oft entsann ich mich in meiner erzwungenen ländlichen Tatenlosigkeit dieser und jener komischen oder gefahrvollen Begebenheiten meiner Missionen, in der Guyenne, in Boulogne, in London oder in Sedan! Mir schien, daß ich dann erst richtig lebte, und je gefährlicher, desto nützlicher dünkte mich mein Leben, war ich in Händen Seiner Majestät doch einem Fährmann gleich, hin und her eilend und wiederkehrend, seinem Antrieb gehorchend, doch stets im Herzen der Segel, die er spannte oder reffte, um seinen Thron zu verteidigen gegen jene, die ihn stürzen und sein Volk durch Krieg, Gemetzel und Inquisition unterwerfen wollten.
    Oft lud ich den Pfarrer Ameline von Montfort zu Tisch. Er war ein recht leidlicher Mann, gescheit, ligistisch nur soweit, wie zu seiner Sicherheit nötig, nie gegen den König, höchstens gegen dessen Lieblinge, doch immer maßvoll, wie er es auch in seinem Betragen und sogar in seiner Leiblichkeit war. Denn er war nicht groß, nicht klein, nicht dünn und nicht dick, nicht jung, nicht alt, kein Schwächling und kein Kraftprotz, kein Weiberheld und kein Tugendbold, kein Trinker, aber auch kein Abstinenzler, kein Geizkragen und kein Verschwender, kein Vielfraß und kein Kostverächter, nicht gelehrt, aber nicht unwissend, nicht feige, nicht tapfer, nicht übereifrig und nicht faul, und was immer er sagte, oder meinte, oder unterstellte, oder behauptete, oder beklagte, nie ganz Fisch, nie ganz Fleisch.
    Von seinem Gesicht konnte man nicht sagen, es sei rund, oval und kantig, denn es war all das zusammen; nicht von seinen Augen, sie seien ehrlich oder falsch; auch von seiner Nase nicht, sie sei schmal oder knollig, und nicht von seinen Zähnen, sie seien gut oder schlecht, denn er lächelte, ohne sie zu zeigen.
    »Ha, Monsieur le Chevalier«, sagte er, als er sich an meinen Tisch setzte an jenem kalten 16. November, »gestern war der Herr Abbé De Barthes bei mir, der mich recht oft besucht, weil er in Mesnuls Land besitzt. Er ist, wie ich wohl schon sagte, Beichtiger des Herrn Kanzlers von Villequier und brachte mir, weil er aus Paris zurückkam, Nachrichten vom Krieg.«
    »Und wie steht es?«
    »Nicht gut und nicht schlecht«, sagte der Pfarrer.
    |364| Das hätte ich geschworen! Und weil ich sah, daß er verstummte, weil er seinen Schinken kaute, wartete ich, bis er fertig war, und sagte: »Laßt hören!«
    »Im Moment ist es so«, sagte der Pfarrer. »Die Armee des Herzogs von Joyeuse wurde am 20. Oktober vollkommen geschlagen und aufgerieben vom König von Navarra, viele katholische Adlige sind gefallen, und Herr von Joyeuse, der von seinem Gaul abgeworfen ward, schwang seinen Handschuh und schrie: ›Zehntausend Ecus zu gewinnen!‹, da zerschmetterte ein Pistolenschuß seinen Schädel, und der war abgefeuert worden von dem einzigen Überlebenden des Gemetzels, das der Herzog in La Motte-Saint-Eloi befohlen hatte.«
    »Das Unbequeme an einem Gemetzel«, sagte ich, »ist, abgesehen von seiner Unmenschlichkeit, daß immer ein Zeuge oder Rächer übrigbleibt. Aber diese Lehre zieht man erst, wenn man dran stirbt.«
    Ich sagte dies, weil ich meine Freude über Navarras Sieg nicht äußern durfte, ihn aber auch nicht bedauern wollte.
    »Das Seltsame aber ist«, fuhr Pfarrer Ameline fort, »daß der König von Navarra nach dem Sieg sein Heer entließ und verschwand. Es ging sogar das Gerücht, er sei tot. Was ich aber nicht glaube. Wäre er getötet worden,

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