Noch mehr Krimikatzen
Katzen haben Stimmrecht, nur daß du es weißt!« Beim Hinausstapfen aus dem Polizeirevier ließ ich die Tür hinter mir zuknallen.
Draußen beruhigte mich wie immer die kühle, klare Bergluft. Dreitausend Meter über dem Meeresspiegel in den Bergen zu leben rückt die Dinge ins rechte Licht. Sagen jedenfalls die Touristen. Ich kann das nicht beurteilen. Da ich mein ganzes Leben in Mt. Floresta verbracht habe, fehlte mir dafür das Gespür. Vielleicht hatte Jamison recht, dachte ich. Vielleicht habe ich das alles übertrieben. Ich verschloß meine Skiweste vor dem Herbstwind und zog meine Jeans hoch. Wenn ich Sorgen habe, verliere ich an Gewicht. Und ich hatte mir immer mehr Sorgen um die steigende Zahl von verschwundenen Katzen gemacht, die meinem Büro von den verzweifelten Besitzern gemeldet worden waren.
»Mr. Ezekiel Leonard?« So begannen die meisten Anrufe. Die älteren Damen nannten mich bei meinem vollen Namen und Mister. Dadurch fühlte ich mich älter als sechsundzwanzig und klüger. Sie hofften wohl, daß ich das war. Wie die meisten Katzenbesitzer klangen sie nervös und schüchtern, waren sie besorgt, mich zu belästigen, und traurig. »Mr. Leonard«, sagten sie, »meine Schneeflocke ist verschwunden.« Oder mein Big Boy, meine Thomasina, meine Annabelle. »Das ist bis jetzt noch nie vorgekommen, und ich weiß einfach nicht, was ich davon halten soll. Ich habe überall gesucht und jeden gefragt, den ich kenne. Aber niemand hat meinen Big Boy (oder meine Thomasina, meine Schneeflocke) seit Dienstag gesehen.«
Zuerst maß ich den Anrufen keine Bedeutung bei. Ich durchsuchte einfach unsere Gehege nach einer Katze, auf die die Beschreibung paßte, und versicherte dann der Anruferin oder dem Anrufer, daß ich mich nach dem Kätzchen umsehen würde. Danach nahm ich den Namen des Kätzchens und seine Telefonnummer in meine ›Vermißten‹-Liste auf.
Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, daß diese Liste immer länger wurde, da ich nur wenige Namen wieder streichen konnte. Ich hatte zwar Mrs. McCartys Siamesen gefunden und ihn zurückgebracht. Und ich hatte Bobby Henderson die traurige Nachricht übermitteln müssen, daß ich seine weiße Katze tot auf dem Seitenstreifen der Autobahn hatte liegen sehen. Aber Ende September wurde das Offensichtliche immer offensichtlicher: siebzehn Hauskatzen waren seit August für vermißt erklärt worden, und ich hatte nur zwei davon gefunden. Aber was zum Teufel fing jemand mit fünfzehn verwöhnten Katzen an? Meines Wissens gab es keine Tierversuchslabore im Landkreis oder in der näheren Umgebung. Und ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, solche Fakten zu kennen. Ich konnte mir das einfach nicht erklären.
Ich unterbrach meine Grübeleien auf der Treppe des Polizeireviers und machte mich auf den Weg zu den Büros der Erzader, der Tageszeitung unserer Stadt. ›Am Puls der Zeit!‹ ist ihr Motto, das tatsächlich über dem Titel abgedruckt ist. Hier oben in den Bergen wird alles etwas lässiger angegangen. Wir tragen hier auch alle Blue Jeans und niemals Anzüge, abgesehen von durchreisenden Bankprüfern.
Mt. Floresta, ehemals führend im Bergbau in der Gegend, ist jetzt nobel geworden: Wir sind so ›in‹ als Skigebiet, wie man es nur sein kann, ohne sich dabei selbst zu verlieren. Wir haben unsere restaurierten viktorianischen Gebäude, wir haben häßliche neue Apartmentblocks, wir haben bezaubernde Gaslaternen in den Straßen und elegante Cafés, wir haben Lifttickets und Gourmet-Restaurants, wir haben betrunkene Touristen und überhöhte Preise. Wir haben auch eine Menge sehr großer Hunde – Malamuts, Samojeden, Huskies und ähnliche –, von denen die Leute, die hierherziehen, glauben, daß man sie einfach haben muß, genauso wie eine niedliche Katze, die beim Feuer am gemieteten Kamin sitzt. Und dann, wenn diese Leute nach einer kalten verschneiten Wintersaison wieder wegziehen, setzen sie die armen Kreaturen hier aus, und dann komme ich ins Spiel, im Mt. Floresta Tierheim, das am Rand der Stadt, am Fuß des nächsten Berges liegt.
Beim Laufen senkte ich den Kopf, aber nicht, um mich gegen den Wind oder vor den Touristen zu schützen. Je länger ich brauchte, um die vermißten Katzen zu finden, desto schwerer fiel es mir, den Katzenliebhabern in der Stadt ins Gesicht zu sehen. Ich wußte, daß ich, müßte ich noch einmal in die kummervollen Augen von Miss Emily Parson sehen, hingehen und in den Spirit Lake springen würde. Miss Parsons große schwarze
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