Noch mehr Krimikatzen
Entfernung gebracht.
Aber ich hatte ein Stück Arbeit zu erledigen.
Ich war nach Sandford hinuntergefahren – das liegt ungefähr fünfzig Meilen landeinwärts von Floridas Daytona Beach –, um ein paar Tage bei Jeff Sandusky zu verbringen. Wir hatten das schon im Frühjahr abgemacht, allerdings ohne festen Termin. Ich sollte einfach irgendwann bei ihm auftauchen, im Gepäck den obligatorischen Sechserpack Bierdosen und die Shorts, die mir von Jahr zu Jahr enger werden. Vorher anzurufen oder zu schreiben war nicht nötig, hatte Jeff mir gesagt. Ich sollte einfach kommen.
Und so kam ich.
Aber kaum war ich eingetroffen, merkte ich, daß die Stimmung keineswegs so ungezwungen war. Spannung lag in der Luft. Man spürt so etwas immer, aber besonders dann, wenn man eigentlich auf etwas ganz anderes eingestellt war: in meinem Fall auf Faulenzen und Biergenuß. Jeff hatte offenbar sogar vergessen, daß ich kommen würde. Er sagte es nicht, aber ich konnte es ihm förmlich ansehen.
Menschen tragen Sorgen wie schlechtsitzende Kleidung. Man merkt sofort, wenn etwas nicht stimmt. Drei Bierdosen später – zwei davon hatte ich mitgebracht – erzählte Jeff mir, was los war. Es ging um seine Schwester. Sie wurde vermißt.
Jeffs Schwester Irma hatte vor einiger Zeit drüben in Mobile geheiratet und war dann mit ihrem Mann in ein kleines Nest namens Greenville gezogen, das nur einen Katzensprung von der See entfernt zwischen Bay St. Louis und Picayune lag – nahe genug am Lake Pontchartrain, um bei einem Spaziergang vorsichtshalber auf Schuhe zu verzichten. Ich sagte Jeff, daß sich die Sache meiner Meinung nach gut anhörte, und seine Miene hellte sich auf. Wir leerten noch ein paar Dosen und hauten uns dann aufs Ohr, bevor der Alkohol uns den Rest gab. Am nächsten Morgen waren wir schon vor Sonnenaufgang auf der Straße.
Wir verließen den Highway 31 bei Gulfport gegen acht Uhr abends, nachdem wir am späten Nachmittag unter einem strahlend blauen Himmel durch Escambia und Baldwin gefahren waren und einige höchst interessante Eindrücke amerikanischen Kleinstadtlebens gewonnen hatten. Unsere Bäuche waren randvoll mit Katzenfisch-Nuggets, Taco-Salat und Lone-Star-Bier, und unsere Augenlider wollten immer mehr den Gesetzen der Schwerkraft nachgeben.
Irmas Haus wirkte bescheiden.
Der Briefkasten war mit nur einem Wort bekritzelt – Wilberton –, und er senkte sich bedrohlich in Richtung einiger Stauden von Nesseln und Seegras, die mit leeren Kartoffelchipstüten und Bierdosen übersät waren. Der unbefestigte Weg führte zu einer zweistufigen Treppe. Im Schatten der Schwingtür stand ein Mann, neben dem jeder Sumo-Ringer magersüchtig wirken mußte. »Verdammter Hundesohn«, hörte ich Jeff murmeln, während ich den Wagen von der Straße lenkte und den Motor abstellte.
Ich lehnte mich in den Sitz zurück und streckte mich, denn ich wollte Jeff die Gelegenheit geben, zuerst allein auszusteigen und den Mann zu begrüßen. Die Begrüßung, die nun tatsächlich folgte, wirkte auf mich allerdings wie der Central Park im Januar – frostig, daß einem die Knochen weh taten. Und sie bot alle Aussichten auf zunehmende Wetterverschlechterung.
Jeff stieg aus dem Wagen und nickte. »Beauregarde«, sagte er.
Der Mann erwiderte das Nicken. »Sandusky.«
Ich stieg ebenfalls aus, um mich etwas in der Unterhaltung abzukühlen. Im Auto war es zu stickig.
Jeff wies auf mich. »Koko Tate, ein Freund von mir.« Er wandte sich mir zu. »Koko, das ist Beauregarde Wilberton. Der Mann, den Irma geheiratet hat.«
»Bo«, sagte der Mann. »B - O. Bo.«
»Bo«, wiederholte ich und hielt ihm die Hand hin. »Nett, Sie kennenzulernen.«
Er grunzte. »Wollt ihr reinkommen?«
Die Hand fühlte sich an wie zäher Teig und ließ nur vermuten, daß unter der kalten Kühle etwas Warmes pulsierte. Wie etwas, das früher einmal lebendig gewesen, jetzt aber tot war. Ich wandte mich zu Jeff um.
»Wo ist sie?« wollte Jeff wissen.
»Sie ist gegangen, Sandusky«, antwortete Bo Wilberton cool. Zeigte sein Gesicht einen Anflug von Schadenfreude, oder spielten Licht und Schatten mir einen Streich?
»Gegangen – wohin?«
»Wenn ich das wüßte, wäre ich dann hier?«
Jeff antwortete nicht.
»Kommt ihr nun rein, oder wollt ihr die ganze Nacht hier draußen stehenbleiben? Es wird kalt, wenn die Sonne untergeht.«
»Komm, Jeff. Hilf mir, die Sachen zu holen.« Wir gingen zum Kofferraum und holten heraus, was wir brauchten: Saubere Shirts, saubere
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