Noch nicht mal alleinerziehend
verschränkt, auf dem Ecksofa räkelte, antwortete seinem Vater kurz und unmissverständlich: »Nöhö! Ich bin der böse Scar!«
Nach diesem Zwischenfall war nicht nur die Diskussion über Steffis durchtriebene »Mission Mutterschaft«, sondern der ganze Abend ziemlich schnell beendet. Schorsch und Daggi hatten in Windeseile ihren, soeben der dunklen Seite der Macht verfallenen, Nachwuchs eingepackt und wie Fahnenflüchtige das Loft verlassen. Zu fünft hatten sie fast schweigend einen »Absacker« getrunken. Aber niemand von ihnen hatte wirklich sein Glas geleert. Schließlich hatten Frauke und Sven Nora wieder nach Hause gefahren. Kira schlief sofort erschöpft und friedlich in ihrem Kindersitz ein. Keiner sagte ein Wort. Lediglich ein regelmäßiges »Tz, tz, tz« von Sven erfüllte den Wagen. Gleichzeitig fuhr er sich angespannt mit der rechten Hand durch seine kurzen braunen Haare. Seine Art, seine Verstörtheit über den Abend kundzutun. Ein Freund von vielen Worten war er nie gewesen. Aber hitzige Diskussionen brachten ihn immer völlig aus seiner sonst so stoischen Ruhe. Kurz vor Noras Haustüre wandte sich Frauke an Nora: »Nora, du weißt doch, Daggi meint das nicht so. Sie ist halt …«
»Unverschämt! Das war echt krass und anmaßend. Alles! Aber egal, jedes Wort darüber wäre eines zuviel. Danke fürs Nachhausefahren. Ich ruf dich die Tage an, ja?!«
»O.k., Süße. Schlaf gut! Und ärgere dich nicht.«
Nora krabbelte aus dem Auto und winkte den Dreien nach. In ihrer Wohnung angekommen stellte sie erschöpft ihre Tasche auf die Kommode im Flur, hängte ihren Mantel an die Garderobe und zog ihre hohen Schuhe aus. Der Anrufbeantworter blinkte. Nora wollte nichts mehr hören. »Morgen wieder«, murmelte sie und ging in ihre Wohnküche. Unterschiedlicher konnten die Erlebnisse eines Tages gar nicht sein: Mariano, ihre Familie und dann dieser Abend mit ihren Freunden. Kiffen wäre jetzt geil. Echt geil, dachte sie. Ich müsste mir mal wieder etwas besorgen. Sie holte sich eine Flasche Chardonnay, Jahrgang 2007, aus dem Kühlschrank, griff ein Glas und setzte sich an ihren Esstisch. Sie goss den Wein ein und nahm einen großen Schluck. »Ahhhh!« Langsam entspannte sie sich. »Nur Irre!«, sagte sie zu sich selbst und nahm erneut einen großen Schluck.
A ls Nora am späten Sonntagmorgen wach wurde, brauchte sie eine Weile, um sich zu sortieren. Sie hatte mit Absicht keinen Wecker gestellt – nicht nach gestern Abend. Und schon gar nicht nach der halben Flasche Wein, die sie sich noch vorm Zubettgehen gegeben hatte. Ihr Schlaf war tief, sehr tief gewesen – und als sie um halb zehn langsam erwachte, brauchte sie eine Weile, bis ihr der Schritt in die Wirklichkeit gelang. »Oh Gott«, stöhnte sie, als die Erinnerung an ihren Traum sie einholte. Sie hatte einen Ausflug in eine mittelalterliche Welt unternommen, in der sie, zusammen mit anderen Geächteten, in einem Wald lebte. Genauer gesagt in einer Art provisorischem Dorf, das sie stark an das von Robin Hood erinnerte. All diejenigen, die den Gesellschaftsnormen nicht entsprachen – Diebe, Huren, Verbrecher und allen voran Steffi mit ihrem Bastard – hatten sich hier zusammengefunden. Was Nora verbrochen hatte, konnte sie jetzt, nach dem Aufwachen, nicht mehr genau abrufen. Aber ihr schwante, dass es etwas mit ihrem lockeren, lasterhaften Lebensstil zu tun hatte. Regelmäßig wurde das Dorf vom Stadtsheriff kontrolliert. Dieser war kein Geringerer als Daggi, was Nora nach dem gestrigen Abend nicht wirklich verwunderte. Hoch zu Ross kam sie, eskortiert von mindestens 20 Rittern, regelmäßig ins Dorf der Geächteten. Aus ihrem Wams zog sie immer wieder neue Pergamentrollen voller Regeln und Vorschriften, die sie dem Mob verkündete. Demnach war allen der Zutritt nach Colonia strengstens untersagt, um die Moral in der Stadt nicht zu gefährden …
»Fuck!« Nora quälte sich aus ihrem Kingsize-Bett und warf einen Blick in den großen antiken Spiegel, der über einer Kommode hing. »Jetzt drehst du völlig durch«, waren die ersten Worte, die sie an ihr verschlafenes Spiegelbild richtete. Kaffee, sie brauchte dringend einen frischen, starken Kaffee!
Den blinkenden Anrufbeantworter ignorierte sie weiterhin. Ihrem Sonntagsritual folgend holte sie die Zeitung rein und vertiefte sich mit der benötigten Ration Koffein in die Lektüre. Vier Tassen Kaffee brauchte Nora mindestens, um einem neuen Tag ins Auge blicken zu können. Ihr Horoskop hatte ihr
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