Noch nicht mal alleinerziehend
Hause war, fühlte sie sich hundsmiserabel. Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen, ihr war richtig schlecht, so als müsste sie sich jeden Moment übergeben. Der anhaltende Schwindel machte die Sache nicht besser, ihr Gesicht war heiß, ihre Augen extrem lichtempfindlich, und ihr Kopf hämmerte und pochte. So fühlte sich wohl eine Migräne an. Sie stellte ihre Handtasche und die Plastiktüte mit dem Eis ab und setzte sich – noch im Trenchcoat – zu ihnen auf den Boden im Flur. Ihr Anrufbeantworter blinkte. »Du kannst mich mal«, sagte sie erschöpft und schloss die Augen. Das rote Flackern schmerzte in den Augen, von wo der Schmerz gleich in den Kopf weitergeleitet wurde. Auf allen Vieren kroch sie Richtung Schlafzimmer. Am Bad hielt sie kurz inne, nicht sicher, ob sie in die Wanne kotzen sollte, weil sie es eventuell nicht mehr bis zum Klo schaffen würde. Als sich dies als unnötig erwies, kroch sie weiter und hievte sich auf ihr Bett. Der Penner meint ja wohl nicht, dass ich das in sechs Monaten noch mal mache. Der kann mich mal, dachte Nora, als sie sich daran erinnerte, dass der Professor ihr geraten hatte, in einem halben Jahr nachstechen zu lassen. Das täte man so beim ersten Mal, um eine noch längere Wirkung zu erzielen … Bei ihr würde er nichts mehr stechen! Basta! Kurz darauf schlief sie ein.
Sie erwachte erst wieder am Freitagmorgen. 6:22 Uhr zeigte ihr Wecker, der sie niemals vor halb neun mit einem sanften Wellenrauschen weckte. Nicht selten blieb Nora dann noch ein Stündchen dösend im Bett, bevor sie sich in den neuen Tag schmiss. Aber noch war alles dunkel – und still. Nora rieb sich die Augen. Sie fühlte sich, als wäre ein LKW mit 180 Sachen über sie gerollt. Die stechenden Kopfschmerzen waren einem dumpfen Druck gewichen. Dafür schmerzte ihr ganzer Körper. Mühsam setzte sie sich im Bett auf. Sie knipste ihre Nachtischlampe an. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie in kompletter Montur auf ihrer Tagesdecke geschlafen haben musste. Sie trug immer noch ihre graue Röhrenjeans, darüber ihre blaugrauen Cowboystiefel – ein Relikt aus den 80ern, das Nora seitdem, jedem Trend zum Trotz, immer getragen hatte –, ihren grauen, langen Pullover mit V-Ausschnitt und einen grauen Hippie-Schal, den sie letzten Sommer auf ihrer Lieblingsinsel Ibiza gekauft hatte. Nora war mindestens dreimal im Jahr auf Izi-Bizi. Eines Tages wollte sie dort unbedingt eine kleine Finca haben. Auf dem Land, aber nicht weit vom Meer entfernt. Ein Zufluchtsort, wo sie dann … »Ja, was dann?«, meldete sich ihr innerer Richter. »Was willst du denn da machen? Bikinis häkeln, die du dann später mit all den anderen gescheiterten Existenzen am Strand verkaufst? Und wovon willst du das bezahlen? Irgendwann – eher früher als später – ist dein Erspartes futsch! Ist ja eh lächerlich, was du da so zur Seite gelegt hast.« Nora stöhnte auf. »Leck mich!«, sagte sie zu sich selbst und schaute erneut auf die Uhr. Gleich sieben. Sie hatte tatsächlich fast 13 Stunden durchgeschlafen. »Nervengift halt«, dachte sie und quälte sich aus dem Bett. Sie wollte ins Bad, um nachzusehen, in welchem Zustand ihre Stirn war, als sie im Flur einen kleinen See vorfand. »Scheiße!« Die Eiswürfel in der Einkaufstüte hatte sie völlig vergessen. In einer der Verpackungen musste ein kleines Loch gewesen sein. Aus der Küche holte sie sich einen Eimer und den Wischmop und begann das Malheur zu beseitigen. Währenddessen hörte sie ihren Anrufbeantworter ab: Nina, Senta und Kiki, die alle für Samstag zusagten. Kiki mit der Einschränkung, dass sie später käme, weil der Babysitter nicht früher konnte. Marie, die absagte, weil die Kinder krank waren. Mariano, der mittlerweile ihre Festnetznummer hatte und nur mal ihre Stimme hören wollte. Ihr Vater, der ihr mitteilte, dass sie das Familienessen ja sowieso auf Sonntag gelegt hätten, wie Nora sich sicher erinnere. »Schließlich ist es dein Geburtstag, meine Große«, sagte er, als wäre es Noras 14. Geburtstag.
Hoffentlich hat das Parkett nichts abgekriegt, dachte Nora gerade, als sie Fraukes Stimme auf dem AB vernahm. »Nora, scheiße, ich kann wohl nicht kommen. Ich finde keinen Babysitter, und Sven ist morgen nicht da. Der ist geschäftlich das ganze Wochenende unterwegs. Und meine Mutter ist in der Oper. Und Svens Eltern sagen, sie hätten auch keine Zeit. Kurz: Ich weiß nicht wohin mit Kira. Ruf mich an.«
Geburtstag ohne Frauke – das ging gar nicht. Nora würde sie
Weitere Kostenlose Bücher