Noch nicht mal alleinerziehend
zum Tanzen aufgefordert hat. Dieses gekünstelte Mitleid, als wäre ich völlig verzweifelt. Zum Kotzen. Was denn, wenn ich gar nicht tanzen will? Darüber denkt natürlich keiner nach, oder macht sich die Mühe zu fragen. Weißt du, wie wenig Menschen mich aufrichtig fragen, wie es mir geht? Und diese misstrauischen Blicke, weil ich einen Typ treffe, der 25 ist. Als würde ich Kinder schänden. Fehlt nur noch, dass Mütter anfangen, ihre Söhne von mir wegzuziehen. Und da wundert man sich dann, dass ich nichts mehr erzähle. Oh, und dann diese Frauen, die so tun, als würde ich nur auf die richtige Gelegenheit warten, um ihnen den Ernährer ihrer Familie zu klauen. Ich kenne die meisten seit fast 20 Jahren, da komme ich doch nicht plötzlich auf die Idee: Mmmmh, du bist ja eigentlich ganz sexy – poppen? Heiraten? Was denken die denn von mir?! Das ist so erschreckend. Und jetzt werde ich nicht mal mehr zum Mädchenbrunch eingeladen, weil ich keine …«, Nora machte mit den Fingern Anführungszeichen in der Luft, »…Mutter bin. Noch nicht mal schwanger. Noch nicht mal alleinerziehend. Sorry! Aber dann darfst du hier nicht mehr mitspielen. Hier gibt’s sogar Sonderpreise für Schwangere, hast du das gesehen? Und jetzt heiratet auch noch Tobi, und langsam frage ich mich …« Und wieder brach sie in Tränen aus. Kim strich ihr über die Wange. Nora holte tief Luft und setzte wieder an: »Kim, stimmt irgendetwas nicht mit mir? Nur weil ich das nicht will – also, heiraten und Kinder? Ich fühle mich wie ein Alien. Wo sind denn all meine Freunde hin? Die fanden mich doch irgendwann mal cool, so wie ich bin. Und ich habe mich doch gar nicht verändert. Ihr habt euch alle verändert, und ich bin jetzt der Arsch! Das ist so ungerecht. Ich verstehe gar nicht, was passiert ist …« Noras Redefluss wurde von Kim unterbrochen, der ihr ein Taschentuch reichte. Geräuschvoll schnäuzte sie ihre Nase.
»Pscht«, kam es aus einer Ecke.
»Siehst du, wenn ich schwanger wäre, dann hätte jetzt niemals jemand ›Pscht‹ gemacht. Dann wäre das ganz normal, wegen der Hormone …«
»Nora!« Kim lächelte amüsiert. »Jetzt drehst du aber ein bisschen durch!«
»Ein bisschen ist gut! Sophie sagt, ich sei total gestört …«
»Das ist doch Blödsinn. Und das weißt du.«
»Ich weiß gar nichts mehr. Ich weiß nicht, was ich beruflich machen soll. Ich weiß nicht, wo ich gerade hingehöre. Nix weiß ich, alles durcheinander. Das ist mir alles viel zu viel. Der totale Hirnfick.«
»Baby, manchmal, da kommt man an Punkte im Leben, da wird noch mal alles in Frage gestellt. Ich hatte das auch. Kurz vor Antons Geburt bin ich fast durchgedreht. Bei Claire war es nicht mehr so schlimm, aber trotzdem habe ich mich auch da noch mal gefragt: Will ich das eigentlich? Was meinst du, was ich mir alles anhören muss, weil ich Marie nicht heirate?«
»Und warum willst du sie nicht heiraten?«
»Du kennst mich. Warum sollte ich sie heiraten? Marie ist mein Mädchen. Das wird sie immer sein. Brauche ich da etwa noch einen Wisch, der das bestätigt? Nein. Es gibt sowieso keine größere Bindung an einen Menschen, als Kinder mit ihm zu haben. Aber wenn sie das irgendwann will, also heiraten, wenn ihr das total wichtig wird, dann werde ich sie auch heiraten. Aber meine Frau ist sie schon ganz, ganz lange! War sie immer.«
Nora umarmte ihn und küsste Kim auf die Wange.
»Du bist so toll, Kim. So etwas Schönes habe ich schon lange nicht mehr gehört.«
»Du bist auch toll, Nora. Und wenn du spielen willst, dann spiel! Wenn du Liebe willst, nimm sie dir. Du hast immer gemacht, was du wolltest, ohne zu fragen, ob das auch mit allen anderen in Ordnung geht. Du warst nie einzufangen. Man konnte dich nie verpflichten. In einem Moment warst du da, im nächsten schon wieder weg. Und das ist o. k., Nora. Total o. k.! So haben dich alle akzeptiert. Wir haben gewartet, bis du zurückkommst. Aber das Leben der anderen hat sich verändert. Sie haben Familien gegründet. Und du hast dich dabei auf eine ziemlich exklusive Außenposition begeben, auf eine beobachtende. Immer dein eigenes Wertesystem hochhaltend. Vielleicht denkt die ein oder andere, dass du sie jetzt doof findest, weil sie so ein Spießerleben führen. Vielleicht fühlt sich der ein oder andere auch von dir belächelt. Ist nur so eine Idee. Gerade sitzt du auf deinem Thrönchen und musst feststellen, dass nicht mehr alle Hand in Hand mit dir durchs Leben laufen. Das passiert.
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