Noch nicht mal alleinerziehend
Telefon, dein AB geht nicht an, dein Handy ist aus. Wir haben uns Sorgen gemacht. Und wenn ich dich so ansehe, dann zu Recht. Was ist denn passiert?«
»Ich habe doch gestern schon mit Frauke gesprochen«, wich sie aus.
»Nora, du siehst aus, als hättest du tagelang geweint. Süße?!«
Er strich ihr sanft über den Arm. Nora zog ihn instinktiv weg – eine fürsorgliche Berührung zu viel, und sie wäre sofort wieder zusammengebrochen.
»Nicht«, sagte sie.
»O. k., in Ordnung. Dann geh und pack deine Tasche. Wäre doch gelacht, wenn wir dich nicht wieder aufgepäppelt bekämen.«
»Kim, ich möchte wirklich …«
»Nora, wir machen das jetzt, und wenn ich dich an den Haaren hier rausziehen muss. Wir brauchen auch nicht reden. Aber das wird dir guttun. Also los!«
Nora tat, wie ihr befohlen. Sie hatte keine Kraft, sich zu wehren.
»Was ist das denn?«, rief Kim wenig später aus dem Wohnzimmer. Nora ging mit ihrer Tasche zu ihm. Er stand am Sekretär und wedelte mit dem Umschlag von Tobi und Daniela. »Sieht förmlich aus.«
»Ich glaube, das ist eine Hochzeitseinladung.«
»Hochzeit?«
»Ja, Tobi heiratet Daniela, Ende Juni, oder Juli. Ich weiß es nicht genau. Hab noch nicht reingeschaut.«
»Das sehe ich. Darf ich?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, riss Kim den Umschlag auf, öffnete die Karte und nickte stumm. Dann reichte er sie ihr. Auf der linken Innenseite der Karte klebte ein Foto von Tobi und Daniela, sie küssten sich. Auf der rechten Seite stand: Jaaaaa! Wir heiraten!
»Seit wann weißt du es?«, fragte Kim.
»Eine Woche oder so?« Nora klappte die Karte zu und fand auf der Frontseite die Aufschrift: It’s Amore!
»Und wie geht’s dir?«
»Gut …«, log sie und schluckte heftig, als sie die Phrase aus ihrer gemeinsamen Zeit mit Tobi noch einmal las.
»Nora!«
»Mir geht’s gut.« Sie hatte einen harten Ton angeschlagen, und ihre Augen glänzten feucht. Kim sah sie liebevoll und besorgt an. »Sachte, Nora. Ich mach mir nur …«
»Bitte, sag jetzt nicht schon wieder Sorgen. Ich bin bis oben hin voll mit Leuten, die sich schwere Gedanken machen, weil ich ein so besorgniserregendes Leben führe!«
»Komm, Kleine, wir fahren jetzt erst mal, ja?!«
»Ja«, sagte Nora und klang wie eine trotzige Fünfjährige.
Während der Autofahrt sprachen sie kein Wort. Kim entführte sie ins Schloss Bensberg. Dort angekommen meldete er sie an der Rezeption des Wellnessbereiches an, und Nora griff nach einem der goldenen Flyer. Ihr Blick fiel auf die angepriesenen Specials. Das In Love Special offerierte einen Wellnesstag für Verliebte mit einer 25%igen Ermäßigung. Keine Liebe für Nora, kein Rabatt. Gleich darunter fand Nora den eigentlichen Hammer: Das Pregnancy Special ! Werdende Mütter erhielten hier von der Mani- und Pediküre, über Massagen und Kräuterwickel bis zum Make-up alles zu einem Spottpreis von 69 Euro. Nora sucht nach einem Single Special , vergebens. Die zahlten die volle, stolze Summe von 169 Euro. Tja, wer nicht hören will, muss fühlen, dachte Nora bitter und kippte das Glas Champagner, das ihr gerade mit Erdbeeren zur Begrüßung gereicht wurde, in einem Zug runter. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie bald eine von Bukowskis Hauptfiguren abgeben können.
»Nora?!« Kim sah schon wieder besorgt aus. Die nette, sehr hübsche dunkelhaarige Dame an der Rezeption auch. Vielleicht aber auch ein bisschen schockiert. Das musste an Noras mitleiderregendem Erscheinungsbild liegen. Sie hatte seit einer Woche weder gebadet noch ihr Haar gewaschen. »Für den Kreislauf«, antwortete sie knapp. Die nette Frau reichte ihnen flauschige Bademäntel und Handtücher mit goldenen Stickereien und ebenso verzierte wie flauschige Badelatschen. Dann bekam jeder ein goldenes Blatt Papier überreicht, auf dem ihre Behandlungen nach Uhrzeiten mit Raumangaben aufgelistet waren.
»Was machst du?« Nora versuchte einen Blick auf Kims Liste zu erhaschen. Er hatte kein In Love Special bestellt. Das ehrte ihn.
»Dasselbe wie du!«
Nora lächelte. Sie war vielleicht ein Mädchen, mit dem man Jungssachen machen konnte, aber Kim war definitiv der einzige Kerl, den sie kannte, mit dem man Mädchensachen machen konnte. Sie hatten schon oft solche Wellnesstage miteinander verbracht. Und das Tollste war: Für Marie war das überhaupt kein Problem. Mitkommen wollte sie auch nie. »Nee, das sind Nora-und-Kim-Tage, da habe ich nichts verloren. Macht ihr mal«, antwortete sie immer mit einem großen, und vor
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