Noch nicht mal alleinerziehend
habe, hat sie gesagt, dass ich doch deshalb hier säße, weil ich mich verloren habe, obwohl ich dachte, ich hätte alles unter Kontrolle.«
Der Kellner trat an ihren Tisch und reichte Nora kommentarlos ein Taschentuch.
»Danke. Kann man hier rauchen?«
»Nein, das tut mir leid. Dazu müssten Sie leider rausgehen.«
»Erzähl weiter«, sagte Frauke.
Das tat sie. Rosa hatte verschiedenste Thesen aufgestellt: »Nora will nicht erwachsen werden«, »Nora ist beziehungsgestört«, »Noras Welt dreht sich nur um Nora« oder »Nora hat keine Ahnung, was es heißt, Mutter zu sein«. Gegen ein paar hatte sie sich gesträubt, aber mit der letzten These hatte Rosa Recht. »Dann hat sie mich noch gefragt, was mich am meisten an den Müttern in meinem Umfeld nervt.«
»Und, was nervt dich denn am meisten an uns?«, fragte Frauke, ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme.
»Na, die ganze Aufregung. Die Aufregung um alles: den richtigen Kinderwagen, die richtige Klamotte, die ständige Hektik wegen all der Termine, das Klagen, um dann wieder alles schönzureden. Probleme. Überall Probleme. Alles ist plötzlich so existentiell wichtig und schwer. Das Kind krabbelt noch nicht, es läuft noch nicht, es spricht noch nicht. Ständig sind alle so panisch. Fast alle, du bist zum Beispiel total cool, aber die meisten drehen ja nur noch am Rad.«
»Na ja, Nora, Kinder und alles was damit zu tun hat, ist auch existentiell. Wirklich. Das sind echte Sorgen und Ängste, die sich da in einem breitmachen. Plötzlich ist man kein Paar mehr, sondern eine Familie. Die Partnerschaft muss neu definiert werden, und dann ist da dieses hilflose Baby, das die nächsten Jahre von dir abhängig ist. Da kommt man schnell ins Zweifeln: Schaffe ich das? Bin ich eine gute Mutter? Kriegen wir das finanziell alles hin? Und auch, wenn das jetzt doof klingt, aber solange man keine eigenen hat, kann man das auch nicht nachvollziehen.«
»Aber ich will keine Kinder!«
»Warum bist du dann so verunsichert?«
Das hatte Rosa sie auch gefragt. Nora wusste es nicht. »Vielleicht habe ich Angst, euch zu verlieren.« Noras Stimme war zittrig geworden.
»Das ist doch Blödsinn«, antwortete Frauke bestimmt. So blödsinnig fand Nora das allerdings nicht. Für sie gründeten sich Liebe und Freundschaft auf Vertrauen und Zuneigung, die man dem anderen freiwillig gab, ohne etwas dafür zu erwarten. Man entschied sich, einen Teil des Lebens miteinander zu teilen, so lange, wie es eben passt. Rosa hatte sie gefragt, warum sie ihren Freunden nicht gestatte, festzustellen, dass der Abschnitt mit Nora nun beendet sei, weil die Lebensumstände jetzt nicht mehr deckungsgleich seien. Schließlich gelte doch der freie Wille für alle. Auch darauf wusste Nora keine Antwort. So hatte sie das noch nie gesehen. Frauke lächelte sie an, während sie ihr aufmerksam zuhörte.
»Frauke, komme ich so rüber, als ob ich euch belächele, weil ihr Spießer seid? Also, so als fände ich euch jetzt mit Familien uncool?«
Frauke atmete tief ein, bevor sie antwortete. »Ich für meinen Teil kann das nicht bestätigen, Nora. Zwischen uns hat sich nur wenig geändert. Aber ich halte es für möglich, dass sich die ein oder andere so fühlt, wenn sie dir begegnet.«
Nora lachte bitter. Keine schöne Erkenntnis. Sie erinnerte sich, was Rosa ihr mit auf den Weg gegeben hatte. »Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille«, hatte sie gesagt. »Auf Müttern lastet ein unglaublicher Druck, unsere Leistungsgesellschaft diktiert Perfektion: Das bedeutet für diese Frauen, eine gute Mutter zu sein, den Mann glücklich zu machen, schnell wieder schlank und erfolgreich im Job zu sein. Nur Mutter sein ist out. Dem folgt gleich die Frage: Kriege ich meinen Job wieder? Die wenigsten Firmen haben ja Interesse daran, ihre nicht mehr voll einsetzbaren Mitarbeiterinnen wieder einzustellen. Ich hatte mal eine Klientin, deren Stelle fiel weg, weil im Konzern angeblich umstrukturiert wurde. Die Frau war derart getroffen, dass ihr die Milch wegblieb und sie ihr Kind nicht mehr stillen konnte. Und schon hatte sie das Gefühl, als Mutter zu versagen. Sie fiel in ein tiefes Loch. Und das war tatsächlich ein existentielles Problem, Nora. Hinzu kommt der soziale Druck. Eltern von heute haben cool, locker und trendy zu sein und nebenbei die Familie am Laufen zu halten. Rund ums Kinderkriegen hat sich eine wahre Lifestyle-Industrie gebildet: von der Designer-Wickeltasche über den Designer-Kinderwagen, die
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