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Noch Viel Mehr Von Sie Und Er

Titel: Noch Viel Mehr Von Sie Und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen von der Lippe
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Zipperlein berichtet hast, macht der sich auf die Suche nach Ursachen oder Erregern der aktuellen Unpässlichkeit. Eine bundesgesundheitliche Krankenanalyse – kurz BKA – wird gemacht. Der Verdächtige wird untersucht, abgehört, durchleuchtet oder gar gescannt. Schließlich stellt der Mann in Weiß seine Diagnose, d. h., deine Malaise erhält einen Namen und zum Höhepunkt der – im Gegensatz zur Wartezeit – überraschend kurzen Veranstaltung bekommst du einen Schein, der dir offiziell bestätigt, dass du tatsächlich krank bist. Als Beigabe erhältst du ein Rezept für eine chemische Keule, die das ganze Elend wieder richten soll und gegen eine nochmalige Gebühr in der Apotheke an der Ecke abgeholt werden kann. Und das war‘s auch schon.
    Wenn wir mal davon ausgehen, dass Georg Groddeck, der Begründer der psychosomatischen Medizin, recht hat mit seiner Behauptung, dass jede Krankheit Ausdruck der Seele des Patienten ist, würde ich im Bedarfsfall lieber in den Busch reisen. Da scheint mir für die Seele mehr drin zu sein. Wer hat denn nicht schon einmal ermattet daniederliegend die Erfahrung gemacht, wie äußerst wohltuend es ist, wenn die Angehörigen beim Umsorgen und Verpflegen plötzlich den Turbo einlegen und dazu ein zünftiges TamTam veranstalten? Das holt jeden inneren Heiler aus seinem Versteck. Sobald die eigenen wundervollen Selbstheilungskräfte aktiviert sind, geht es der Krankheit automatisch an den Kragen, und den 132 Krankenkassen müsste es eigentlich wurscht sein, ob die eigenen Abwehrkräfte durch Tabletten, Akupunkturnadeln, Homöopathie, Handauflegen, Clowns oder liebevolle Verwandte wachgerüttelt werden. Nachgewiesen sind beachtliche Heilerfolge aufgrund von Placebos, also Pillen, die keinerlei Arznei enthalten. Da wird der Verbraucher doch stutzig, schließlich kosten ärztliche Behandlungen einen Haufen Geld. Scheinoperationen am Knie sind ebenfalls mit fantastischen Ergebnissen durchgeführt worden. Sogar Beten soll erstaunlich rasch helfen, auch wenn man es gar nicht selber tut. Einer amerikanischen Studie zufolge, bei der predigende Profi-Gläubige täglich für eine Gruppe von Herz-Kreislauf-Patienten gebetet haben, sind diese Patienten tatsächlich schneller gesund geworden als die Kontrollgruppe, für die niemand ein gutes Wort eingelegt hat. Für unsere an Schäfchenschwund leidenden Pastoren und Priester tun sich hier völlig neue Betätigungsfelder auf. Offensichtlich versetzen Liebe und Glaube nicht nur Berge. Mein Hausarzt erzählte mir, dass zu ihm Leute in die Praxis kommen, die fest daran glauben, an Stickhusten oder Brüllhusten oder Stürzmagen zu leiden, also an Krankheiten, die es gar nicht gibt. Die sind ihm als Patienten aber immer noch lieber als die, die ihre Diagnose mithilfe des Internets selbst zusammengebastelt haben. Neulich konsultierte ihn ein Mann mit sechs ausgedruckten DIN-A4-Seiten unterm Arm und behauptete, er hätte sämtliche darin beschriebenen Symptome. Als er höflich nachfragte, wie lange schon?, gab der Mann an, seit drei Wochen. »Dann können Sie diese Krankheit nicht haben«, klärte er ihn auf, »denn die führt nach spätestens 24 Stunden zum sicheren Tod.« Seitdem geht dieser Hypochonder zur Lachtherapie, die ja bekanntlich das Immunsystem bärenstark macht. So wie meinen Koautor, der ist auch so ein Krankheitsspezialist. Es gibt absolut nichts, was der nicht schon einmal hatte. Bei Symptom-Analysen glänzt Jürgen mit profundem Spezialwissen, er kennt alle unaussprechlichen Fachausdrücke und ist ansatzlos bereit, die schlimmsten Ausformungen einer Krankheit in schillerndsten Farben zu schildern. Wenn ich das höre, bekomme ich fast eine Krankheitsallergie, und eine von ihm moderierte Hypochonder-Talkshow im Fernsehen würde mich todsicher auf ewig fit halten. Vielleicht könnte so auch die Kostenexplosion unseres Gesundheitswesens entschärft werden. Die soll ja hauptsächlich durch Übergewicht verursacht sein. Anscheinend verzichtet ein Großteil der Bevölkerung nur ungern auf ungesunde Ernährung, Alkohol und Pillen, dafür aber umso mehr auf Bewegung. Statt mal übers Wochenende mit dem Fahrrad nach Südfrankreich zu fahren, liegt die männliche Masse biergestützt zufrieden auf dem Sofa und glotzt Tour de France oder Bundesliga, während die weiblichen Pendants in Hängematten baumeln und genüsslich Schokoladeneiscremetörtchen verkosten, ohne auch nur im entferntesten an die Aerodynamik und Leistungsfähigkeit ihrer

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