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Nochmal tanzen - Roman

Nochmal tanzen - Roman

Titel: Nochmal tanzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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interessierst dich nur für deine Entwürfe», sagte sie. «Du darfst die Rolle der Ernährerin gerne übernehmen», sagte er. Alles konnte Anlass für Krach sein: Unordnung, ein falsches Geschenk, ein Satz, Geld. «Hast du noch nie bemerkt, dass ich keine Seide trage?», «Kannst du einmal etwas kochen, was nicht nur dir schmeckt?», «Ich möchte wie die anderen verreisen können übers Wochenende», «Auf dich würde ich mich auch nicht verlassen», «Du bist lächerlich». Wenn Fleur einmal verheiratet ist, wird sie solche Dinge nicht sagen. Nie. Auch im größten Streit nicht.
    Nach ihrem Eintritt ins Gymnasium in der Stadt sah sie die Eltern nur abends. Dann sprachen sie über Monatsgeld, Noten, Lehrermarotten, Bauherrendünkel, die Nachbarn, Bibliotheksbücher. Erzählte Fleur etwas, nahmen sich die Eltern zusammen. Sobald sie zu streiten anfingen, verzog sich Fleur ins Zimmer. So wie Vater mit der Rothaarigen war, sah ihn Fleur nie mit Mutter. Sarahs Eltern waren anders. Einmal, als Fleur bei ihnen übernachtete, bekam sie mit, wie Sarahs Vater seine Frau an den Po fasste. «He», rief Sarahs Mutter, lachte und umarmte ihn. Wenn Sarah danach von Streit zwischen den Eltern erzählte, konnte sich Fleur nicht vorstellen, dass Sarah unter Streit dasselbe verstand wie sie.
    Nachdem Vater ausgezogen war, freute sich Fleur aufs nach Hause kommen. Endlich waren Gezänk und verbissene Ruhe weg. Mutter lachte öfter und Vater lud Fleur in seine Stadtwohnung ein. Zwei Zimmer und eine Küche mit Dusche neben dem Waschbecken, ein neues Bett, ein Tisch und vier Stühle aus dem Brockenhaus, ein Fernseher, das Büchergestell von zu Hause und für Fleur das Bettsofa eines Kollegen. Sie verabredeten sich wöchentlich. Vater fragte sie, wie es ihr ging, was sie machte, was sie dachte. Dann kamen Wettbewerbe dazwischen, Abschlusstermine, Marathontraining, Businesslunches. Sie gewöhnte sich ab, sich auf die Treffen zu freuen.
    Erzählte sie Michael von der Frau und dem Kind, gäbe er ihr die Schuld daran, dass Vater die beiden nie erwähnt hat. «Du rufst ihn nie an», würde er sagen. «Wann hätte er es dir mitteilen sollen?» Fleur schaut auf ihre Fingernägel.
    «Sag schon, war es die Mathematikprüfung, die dich geschafft hat?»
    Fleur nickt. Sie kann nicht laut lügen.
    «Ist dein Notendurchschnitt so tief?»
    «Noch eine Drei in Mathe und in Physik, und ich muss die Klasse wiederholen.»
    «Scheiße.» Michael schlägt mit der flachen Hand auf das Sitzpolster. Fleur beneidet ihn. Er muss nicht viel lernen und hat trotzdem gute Noten. «Wie war deine Verabredung gestern?»
    Michael errötet. «Cool. Eine Superfrau.»
    «Gehst du mit ihr?»
    «Ja.» Michael schaut an ihr vorbei. Fleur traut sich nicht zu fragen, warum er weiß, dass sie die Richtige ist, und wie er ihr seine Liebe gestanden hat. Hat er ihre Hand in seine genommen? Oder sie seine? Haben sie sich geküsst?
    «Kenne ich sie?»
    Er schüttelt den Kopf. «Sie besucht das andere Gymnasium und ist zwei Jahre jünger als wir.»
    «Wo seid ihr euch begegnet?»
    «Im Segelclub. Ihr Vater ist auch Mitglied, sie kam an den Clubabend vor zwei Wochen, wir tanzten und so.»
    Lieber Martin
    Wie geht es Dir? Ich habe gestern Alexander, den Mann vom Radio getroffen. Es war ein seltsames Rendezvous. Kein Annähern über Wetter und Wunschkonzert. Er wollte als Erstes wissen, was ich in einem Bild läse, das er mir zeigte. Als ich nicht darauf einging, fragte er nach Fragen, die ich beantworten wolle. So fängt man doch kein Gespräch an! Sonst waren seine Umgangsformen tadellos.
    Ich glaube, er interessiert sich für mich. Als wir über die Künstlerin Louise Bourgeois aufs Malen zu sprechen kamen, erkundigte er sich, was ich zeichnete. Ich winkte ab, das sei nicht der Rede wert. Er protestierte. «Alles, was man gerne tut, ist der Rede wert», sagte er. «Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass es das Einzige ist, das der Rede wert ist.»
    Der Mann hat eine besondere Sicht aufs Leben. Er sagte zum Beispiel, er sammle nur Kunst von freundlichen Künstlerinnen und Künstlern. Nicht weil er nette Bilder wolle, sondern weil es heutzutage eine Form von Widerstand sei, einen Laib Brot mit «bitte» zu kaufen, beim Anstehen nicht zu drängeln oder der Beamtin am Bahnschalter ein Kompliment für die Frisur zu machen. Schon ein «Das ist sehr freundlich von Ihnen, danke», falle auf in einer Zeit, in der sich jeder als Manager bezeichne und Befehle erteile, statt einen Wunsch

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