Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
eines grausamer als das andere. Kehala, die man schändete. Schläge, Schnitte, Stiche, glühendes Holz, die knotenbesetzte Peitsche. George setzte sich ans Steuer und legte den Rest des Weges in einem wahnwitzigen Tempo zurück. Während der gesamten Fahrt sagte der Alte kein Wort. Selbst, als Makah ausstieg, blieb er stumm.
„Alles okay, George. Ich komme klar.“
„Wirklich?“
„Mach dir keine Sorgen. Ich habe alles im Haus, was ich brauche. Und erzähl Anna nichts davon.“
„Verliere ich den Verstand? Woher kamen die Wunden?“
Makah wandte sich um und ging auf das Haus zu. Was sollte er darauf antworten? Es gab keine Erklärung. Wieder sah er die Männer vor sich . Ihr Gestank fraß sich zusammen mit Kehalas Schreien in seine Seele. Er wollte es nicht ertragen, wollte nichts mehr sehen und fü h len. Aber er musste zurück. Egal, was es für ihn bedeutete.
Im Haus nahm er einen sauberen Lappen und eine Schüssel, ging hi n aus zur Pumpe und füllte sie mit Wasser. Die Kleider auszuziehen gesta l tete sich als Marter. Makah vermied es, sich die Wunden genauer anz u sehen. Im Gras knieend, die weiten Hügel im Blick, wusch er jede ei n zelne aus. Dutzende Stiche und Schnitte, die Brandwunde auf seiner Brust, die von den Seilen aufgeschürften Gelenke. Das kalte Wasser linderte den Schmerz seines Fleisches, richtete aber nichts gegen die Erinnerungen aus.
Er musste zurück in die Hölle.
Im Haus klammerte er die tieferen Wunden, trug Salbe auf und ve r band sich so gut es möglich war. Als er endlich auf das Sofa sank, glühte sein Körper. Ihm fielen die Augen zu, noch ehe er sich gegen die dr o hende Dunkelheit wappnen konnte. Der Strudel schien nur darauf g e wartet zu haben, ihn wieder mit sich zu reißen. M a kah wehrte sich nicht dagegen, auch wenn die Furcht ihn mit kaltem Würgegriff packte.
Kehala brauchte seine Hilfe. Nur das zählte.
Nocona, 1844
E
r beobachtete die Männer. Alle fünf saßen am Feuer und unterhielten sich in ihrer hart klingenden Sprache. Diesmal hatte man ihnen weder die Beine gefesselt noch ihre Hände hinter den Baumstämmen zusammengebunden. Lediglich zwei Seile lagen um Brust und Hüfte. Nocona nahm es als ein en Wink des Schic k sals. Vielleicht lag Ptesawins Schutz noch immer über ihm. Er konnte es nur hoffen, denn ohne schützende Medizin war ein Mann nichts.
Vollgesogen mit seiner Körperwärme lag der Stein in seinen Händen. Als ihm das Seil um die Brust geschlungen worden war, hatte er unau f fällig eingeatmet, weshalb es locker genug saß, um weder Luft noch Blut abzuschnüren. Wieder und wieder spannte er die Muskeln seiner Arme und Beine an, damit sie nicht einschliefen, behielt die Männer im Auge und schnitt mit dem Stein an den Fesseln seiner Handgelenke. Er kam unendlich langsam voran, konnte kaum Kraft in die Schnitte legen, doch jede reißende Faser steigerte seine Willenskraft.
Kehala saß zusammengesunken am Baum neben ihm und regte sich nicht. Ihre Haare bedeckten das Gesicht, nur am Zittern der Hände erkannte er, dass sie überhaupt noch lebte.
Verbissen bewegte er die scharfe Kante des Steins vor und zurück. Die dabei entstehende Hitze begann, die Fasern zu verbrennen. Jeden A u genblick konnten die Männer ihr Essen beenden, und wenn er es bis dahin nicht schaffte, das Seil zu durchtrennen, würde sein verzweifelter Plan scheitern.
Nocona schloss die Augen, klammerte alles aus, was ihn umgab. Noch schneller schnitt er an dem Seil, ungeachtet des Schmerzes, der seine verkrampften Hände befiel. Er konnte bereits das Blut der Männer ri e chen. Oh ja, heute Nacht würde er darin waten. Er würde sie leiden la s sen, er würde ihnen alle Qual heimzahlen und ihre Seelen dem Nichts zum Fraß vorwerfen.
Endlich, mit einem leisen, unendlich befriedigenden Geräusch, zerriss das Seil. Nocona machte sich über die Fessel her, die seine Hüfte u m schlang. Gleich war es geschafft. Nur noch dieses eine Hindernis. Mit seinen freien Händen konnte er mehr Kraft in die Schnitte legen. Zeh n mal bewegte er die Klinge hin und her, dann fiel auch dieses Seil. Aufa t mend sank Nocona zurück. Niemand schöpfte Verdacht. A h nungslos löffelten die Männer ihre Bohnen aus verbeulten Blechnäpfen.
Sie würden sterben. Alle. Heute Nacht.
Der Hüne hielt inne und starrte zu ihm herüber. Hasserfüllt erwiderte Nocona seinen Blick , während er die Hände zwischen seinen Beinen zusammenpresste, als seien sie noch immer gefesselt . Das letzte Seil
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