Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
Arme. Lange lag sie wach, den Kopf auf seine Brust gebettet und den Schutz seiner Nähe in sich aufsaugend. Es gab nur noch sie beide und ein Maß an Zuneigung , das sie mit Worten nicht hätte umschreiben kö n nen. Ganz gleich, was das Schicksal ihnen brachte, nichts würde sie trennen können. Dieses Wissen war so klar und selbs t verständlich, dass es keinen Zweifel fürchtete.
Nocona, 1844
Z
uerst dachte er, es wären Naduahs Finger, die ihn liebkosten. Sein Bewusstsein weigerte sich, aus den gnädigen Ti e fen des Schlafes aufzutauchen, doch eine erbarmungslose Macht zerrte es beharrlich an die Oberfläche. Obwohl er die Augen öffnen wollte, gelang es ihm nicht. Sein Körper war schwer wie ein Fels, sein Kopf schmerzte, als wäre ein solcher auf ihn gefa l len.
Tastende Finger schoben die Decke h in unter . Die Berührungen ve r mittelten einen Nachhall dessen, an das er sich trotz seiner B e täubung noch gut erinnern konnte. Ungeachtet seiner Kopfschmerzen rekelte er sich unter diesen Berührungen. Mhmm, sein Blauauge hatte sich so gut angefühlt. So heiß und geschmeidig. Eine Frau, geschaffen für Sinnlic h keit und Liebe.
„Siehst du?“ , zwitscherte eine helle Stimme. „Es gefällt ihm. Ich sagte doch, dass es eine Schande wäre, diesen Körper nur einer Frau zu sche n ken.“
„Er ist ganz heiß“ , raunte eine andere Stimme. „Denkst du, er hat Fi e ber? Ist er krank?“
„Nein. Sie haben sich geliebt. Danach brennt der ganze Körper.“
„Wirklich?“
„Ich weiß es, weil ich es schon einmal getan habe.“
„Das hast du nicht!“
„Oh doch.“
„Ach ja? Und mit wem?“
„In der Nacht vor der großen Jagd. Mit Cuncana.“
„Lügnerin!“
Gekicher. Geflüster. Lippen auf seiner Haut. Warm und leicht. Nur langsam begriff er, dass es nicht Naduah war, die neben ihm kauerte. Er wollte sich den Mädchen entziehen, doch zu seinem Schrecken weigerte sich sein Körper, auch nur einen Finger zu rühren.
Verschwindet! , wollte er knurren. Schert euch davon!
Heraus kam nur ein Stöhnen.
„Zieh es noch weiter runter. Ich will alles sehen.“
„Nein. Was , wenn … ich meine … ich glaube nicht, dass ich alles s e hen will.“
„Hast du etwa Angst? Bald wirst du es dir nicht nur ansehen, Schwe s ter.“
„Aber ich …“
„Wenn du es nicht tust, tu ich es. Seine Frau ist am Fluss und holt Wasser. So schnell kommt sie nicht wieder. Außerdem ist er betrunken.“
„Ich dachte, es wäre ein Schlag auf den Kopf gewesen.“
„Nein. Ich habe gehört, wie Mahto fürchterlich deswegen geschimpft hat. Er bekommt gar nichts mit, du Angsthase.“
„Ich will es aber trotzdem nicht sehen.“
„Stell dich nicht so an. Er ist gerade dabei zu begreifen, dass eine Frau allein ihn nicht glücklich machen kann.“
Oh, und ob. Diese elenden, kleinen Holzböcke. Noch immer konnte er sich nicht bewegen. Peta hatte ihm von solchen Schlaflähmungen erzählt. Meist geschah es nach besonders intensiven Träumen, mal auch ohne jeden Grund. Der Körper weilte in einer Welt, der Geist in einer anderen. Noch einmal versuchte er, sich hochzuste m men . Ein Hauch von Gefühl kehrte in seine Gliedmaßen zurück. Schließlich, als er es schaffte, sich auf die Ellbogen zu stützen und die Lider einen Spaltbreit zu heben, starrten ihn zwei riesige A u genpaare an. Das ältere Mädchen lächelte. Furchtlos streckte sie ihre Hand aus und legte sie auf seine Brust.
„Du bist ein Lanzenträger“, wisperte sie. „Dein Feuer ist zu groß und zu heiß, um durch eine Frau gestillt zu werden.“
Er öffnete den Mund, heraus kam kein Ton. Seine Zunge war riesig und pelzig und klebte ihm am Gaumen. Plötzlich flog das Fell vor dem Eingang zurück. Naduah trat herein. Eine mit Wasser gefüllte Büffelbl a se in der einen Hand, eine Kürbisflasche in der anderen.
„Was macht ihr hier?“, polterte sie los. „Verschwindet! Raus aus me i nem Zelt, oder ich sorge dafür, dass euch kein Mann jemals wieder ans e hen wird.“
„Du willst einen Lanzenträger für dich allein?“ , zischte das ältere Mä d chen. „Wach auf, dummes Huhn. Ein Mann wie er kann nicht mit einer Frau glücklich werden. Du wirst schon sehen.“
„Schert euch davon!“
„Sieh nur, Zitkala.“ Die Stimme des Mädchens troff vor falscher Lie b lichkeit. „Dieses weiße Mädchen glaubt, sie wäre etwas Besseres. Färbt sich die Haare, trägt unsere Kleider, spricht unsere Sprache. Aber eine Wasp wird sie niemals
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