Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
ihre Wange. Plötzlich war er wieder so heiß, dass sie befürchtete, es zischen zu hören. „Die Visionen kommen so oder so. Es wird einfacher sein, wenn ich bei dir bin.“
„Du bist krank.“
„Nur erkältet. Mir geht ’ s gut.“
Er zog sie an sich. Sie spürte seinen warmen Körper, hörte seinen schweren Atem, roch seinen Duft, dessen hauchfeines Krankheitsaroma vom süßen Pfefferminztee überlagert wurde. Sara trank die letzten Schlucke, stellte die Tasse ab und erlaubte ihrem Körper, vollends zu erschlaffen. Vielleicht war es seine Nähe, vielleicht diese betäubende Hitze , die er abstrahlte, aber ihre Angst wich und überließ behaglicher Schwere das Feld.
Der Sog setzte ein. Sie spürte, wie er sie beide empo r hob und forttrug. Sanft, beschützend. Als täte es dem Wächter von Zeit und Raum leid, was er ihnen antun würde.
Naduah, 1847
M
an hätte meinen können, es sei Herbst. Nebel zog über die Prärie, verhüllte die Pappeln am Fluss und verwa n delte Zelte in Visionen. Naduah legte den Fleischsch a ber beiseite und blickte in das trübe Grau hinaus. Ein stetiger, feiner Nieselregen ging auf sie nieder, fing sich in ihren Haaren und in ihrer Seele. Sie vermisste Nocona so sehr, dass Körper und Geist sich anfüh l ten wie ein gähnender Schlund. Die Wasps waren in ihr eigenes So m merlager gezogen, aber Mahto und Huka leisteten ihr weiterhin Gesel l schaft, um sie während der Abwesenheit ihres Mannes zu trösten.
Beide saßen neben Naduah, gingen ihrer Arbeit nach und bedachten sie mit sanften Blicken und aufmunterndem Lächeln. An einem Gestell, das Nocona für diesen Zweck gebaut hatte, lehnte die Trage mit dem schlafenden Quanah.
„Bald ist er wieder hier.“ Mahto frischte die verblassten Farben seines Medizinschildes auf und hielt in regelmäßigen Abständen inne, um sein Werk zu betrachten. „Ich möchte wetten, dass er wieder bei dir ist, noch ehe der Nebel geht.“
„Der Nebel hängt seit vier Tagen über unserem Dorf.“ Sie kämpfte gegen die Tränen. Vom vielen heimlichen Weinen waren ihre Augen rot und tro c ken geworden. „Er ist schon so lange fort. Drei Monde! Etwas muss passiert sein.“
„Mach dir keine Sorgen, kleines Feuer. Alles wird gut. Die Ebenen sind gewaltig, die Wege weit.“
Huka legte ihren Schaber beiseite, mit dem sie eine Antilopenhaut b e arbeitet hatte, und strich Naduah über das offene Haar. „Dein Vater hat recht . Damals, bevor du zu uns kamst, hat mein alter Kojote es geliebt, für ein oder zwei Monde zu verschwinden. Einfach so, ohne jede B e gründung. Ich kam jedes Mal um vor Sorge.“
Mahtos Miene wurde feierlich. Er legte eine mit roter Farbe b e schmierte Hand auf seine Brust. „Ein Mann muss regelmäßig zu sich selbst finden. Er muss seinen Visionen folgen.“ Als er die Hand wieder sinken ließ, sah es aus, als wäre sein Hemd mit Blut verklebt.
„Ach was.“ Huka wedelte mit der Hand. „Du warst ein ruheloser, abenteuerlustiger Dummkopf. Aber“, fügte sie mit schelmischem Gri n sen hinzu, „ein wirklich gut aussehender Dummkopf. Sonst hätte ich mir all das Elend niemals angetan. Die Geister haben dich als Prüfung zu mir geschickt, und ich werde sie mit erhobenem Kopf bestehen.“
Beide lachten, nicht in gewohnter Ausgelassenheit, aber es genügte, Naduahs Last ein wenig zu erleichtern. Sie liebte die beiden dafür umso mehr.
„Dein Ehemann kann gut auf sich aufpassen.“ Mahto wusch den Pi n sel aus und tunkte ihn, als er von der roten Farbe befreit war, in eine schwarze Paste aus Fett und Kohle. „Besser als jeder andere, den ich kenne. Er muss seine Schuld begleichen. Erst dann kann er in Frieden leben.“
„Ich weiß.“ Naduah seufzte.
„Nur darum geht es ihm, kleines Feuer. Er konnte seiner Schwester damals nicht helfen. Jetzt kann er das Unglück wiedergutmachen. Ein Leben für ein Leben.“
Auch das wusste sie. Der Kloß in ihrer Kehle schmerzte trotzdem u n erträglich. Sie fuhr hoch, ging in das Zelt ihrer Eltern, nahm einige Schlucke aus der wassergefüllten Blase und lehnte ihre Stirn gegen eine der Zeltstangen.
„Komm zurück“, flüsterte sie. „Komm zurück. Ich brauche dich.“
Als sie wieder hinaustrat , war Huka verschwunden.
„Wo ist sie?“
„Medizin suchen. Am Fluss.“ Mahto rieb mit kläglich kaschierter Le i densmiene über seinen Oberschenkel. „Es beißt und zwickt mich wi e der. So oft in letzter Zeit, dass alle Kräuter aufgebraucht sind.“
„Wird es nicht
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