Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
knisterte ein Feuer, Rauch stieg in ihre Nase. Es war nicht derselbe Rauch wie der ihres Herdfeuers, und auch nicht der Rauch der Feuer, die manc h mal auf den Feldern brannten. Er duftete nach Salbei. Würz i gem, schwerem Salbei.
„Cynthia“, sagte die Stimme, die eben noch für sie gesungen hatte. „Bitte hasse uns nicht. Nichts kann wiedergutmachen, was dir zugest o ßen ist. Aber bitte … hasse uns nicht.“
Ihre Augenlider waren steinschwer, doch langsam, ganz langsam, g e lang es ihr, sie zu öffnen. Ein rundes Stück Himmel schwebte über ihr, dunkelblau wie die Sonntagsbluse ihrer Mutter. Bunte Stoffe baumelten an aufgespannten Leinen. Es gab keine Wände, sondern nur Leder, durch das dämmeriges, fahles Licht fiel.
Ein Traum! Gewiss. Kräuterbündel hingen neben Vogelbälgen von der Decke – einer Decke, die keine war – , und ein G eweih leuchtete g e spenstisch im knochenfarbenen Licht. Cynthia spürte, wie die Beno m menheit des Schlafes von ihr abfiel wie ein schwerer Mantel. Verzweifelt versuchte sie, dieses Gefühl festzuhalten. Denn wenn es sie verließ, wenn es verschwand und sie immer noch hier war, dann konnte das nur eins bedeuten. Sie träumte nicht.
„Alles wird gut“, sagte die Stimme. „Niemand tut dir was. Schlaf, me i ne Kleine. Ich passe auf dich auf.“
Cynthia sah plötzlich die Frau, die schräg hinter ihr saß. Heißkalter Schre c ken wischte den letzten Rest Schläfrigkeit fort. Eine Indianerin! Eine Wilde! Sie war so alt wie Mutter, ihr langes, offen herabfallendes Haar glänzte pechschwarz. Sie trug ein Lederkleid, an dem Fransen und Perlen baumelten, um ihre Arme schlang sich heidnischer Schmuck.
Es musste ein Traum sein. Nur ein Traum. Aber warum hörte er nicht auf? Immer, wenn sie begriffen hatte, dass alles nicht wirklich war, wac h te sie in ihrem Bett auf. Nur diesmal nicht. Die wilde Frau blieb genauso wirklich wie das Zelt mit all seinen schrecklichen Dingen. Angst lähmte sie, lähmte sogar ihre Tränen und ihr Herz. Es war totenstill in ihrer Brust. Gleich würde sie umkippen und sterben und wieder bei Mutter und John sein.
„Mein Bruder“, kam es über ihre Lippen. „Wo ist mein Bruder?“
Die Worte kratzten im Hals wie rostige Nägel. Schmerzen brannten in ihren Füßen und an der Schulter. Brennend und rasend. Der Schuss … der Überfall … die Fackel, die das Fenster zerschlagen hatte. Elenore, verwandelt in ein brodelndes Monster. Der schlammbes pritzte Rock ihrer Mutter. Das L etzte, was sie von ihr wahrgenommen hatte, bevor …
In ihrem Kopf kreischten und brüllten die Erinnerungen. Cynthia schlug beide Hände vor das Gesicht und kniff die Augen zusammen, so fest sie konnte, aber die Bilder wurden nur noch deutlicher.
„John geht es gut.“ Hinter dem Kreischen der Bilder war die Stimme der Indianerin kaum zu hören. „Er rief deinen Namen. Weißt du, was dein Name in unserer Sprache bedeutet?“
Cynthia wagte es, die Hände sinken zu lassen und ihre Augen zu öf f nen. Ihr Körper fühlte sich leicht an wie eine Feder, aber es war kein schönes Gefühl. Sie schwankte, während sie die Wilde anstarrte. Mutter, Vater und Großmutter waren tot. Das Fort war niedergebrannt. Die Wilden hatten sie entführt und in eines ihrer Dörfer gebracht. Es gab viele Geschichten darüber. Sie nahmen gern Kinder, um sie zu quälen und als Sklaven zu halten. Jetzt war ihr passiert, wovor sie sich alle fürc h teten.
Und obwohl sie plötzlich alles begriff, die ganze Wahrheit, verschwand ihre Furcht, als wäre sie Wasser unter einer brennenden Sonne. Jetzt fühlte sie sich wie die Erde auf den Getreidefeldern. Ausgetrocknet, leblos, fein wie Staub. Jeder Windhauch wehte sie davon.
„Es geht ihm gut?“ , wiederholte sie.
Wieder war die Antwort sanft und behutsam. „Ja. Ihm fehlt nichts.“
Cynthia sah an sich h in ab . Man hatte sie in ein Lederkleid g e steckt und ihre Haare gekämmt. Ein würziger Geschmack lag auf ihrer Zunge, als hätte sie kurz zuvor Suppe gegessen, doch sie konnte sich nicht daran erinnern. Wie weich sich das Leder auf der Haut anfühlte. Beinahe wie Samt. Und sie fühlte sich so satt. I hr Magen war derart voll, dass er we h tat. Wollten diese Wilden sie mästen wie ein Weihnacht s schwein, damit sie besser schmeckte, wenn man sie auf den Spieß stec k te?
„Dein Name klingt wie Tsinitia“, sagte die Frau, während sie den Kopf neigte wie ein scheuer Vogel. „Es bedeutet ‚ bleibt eine Weile ’ . Als dein Bruder nach dir
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