Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
Dickicht unter, verfolgt von drei Trappern. Gepackt von Jagdfieber, widmeten sie ihrem toten Gefährten keinen Blick. Die beiden Männer, die zurückblieben, wandten sich Nocona zu. Selbstsicher wie Berglöwen, die ein Kaninchen umstellt hatten, bewegten sie sich vorwärts. Der Größere, ein rothaariger Hüne von der Massigkeit eines Büffels, zog ein Lasso vom Sattelknauf. Nocona sah Wahnsinn in den Augen der Männer. Eine glühende Gier, die kein Gewissen mehr kannte. Was hatte Mahtowin über die Haarlippen gesagt?
Stille und Einsamkeit sind nichts Gutes für sie. Beides raubt ihnen den Verstand.
Bewegungslos wartete er, zwang sich zur Ruhe, bis der Hüne das Seil über seinen Kopf hob , um unvermittelt loszurennen. Die Pferde sti e gen, als er dicht vor ihnen einen Haken schlug. Der rothaarige Trapper grun z te. Ein Schuss krachte, doch die Kugel schlug ein gutes Stück n e ben ihm in den Sand ein.
Nocona rannte. Er lief , so schnell er konnte , und verschwendete ke i nen Gedanken daran, dass die nächste Kugel treffen könnte. Kehala! Er musste zu ihr! Er erreichte sein Gepäck, griff Bogen und Köcher auf und rannte weiter. Zweimal schoss man auf ihn, doch wieder gingen die K u geln so weit fehl, dass es schien, als wollte man ihn gar nicht tre f fen.
Wenn sie nicht danach trachteten, ihn zu töten, was lag dann in ihrer Absicht? Jedem Sorglosen führte das Leben schnell vor Augen, dass es weit schlimmere Dinge gab als zu sterben. Wenn er versagte, würden diese Männer seine Schwester zu Tode foltern. Oder man gab sie in die Sklaverei, nachdem man sich mit ihr vergnügt hatte. Nocona hatte G e schichten darüber gehört. Gefangene Frauen endeten in Gefängnissen, in denen sie gezwungen wurden, ihre Körper zu verkaufen. Männer wurden in Steinbrüche verschleppt oder zu Arbeiten gezwungen, die den Weißen zu gefährlich waren.
Als er in den Wald eintauchte, überkam ihn ein trügerisches Gefühl der Hoffnung. Hier zwischen den Bäumen lag die zweite Heimat der Nunumu . Sie verschwanden für die Augen anderer, sie b e wegten sich lautlos und hinterließen keine Spuren. Wenn die Geister dieses Landes ihnen woh l ges innt waren, würde der Wald sie beschützen. Nocona folgte der Schneise, die die Pferde der Trapper geschlagen ha t ten. Er hörte das Schnauben der Tiere und den Trommelschlag ihrer Hufe. Vor und hi n ter sich.
Dann erklang Kehalas Schrei.
Nocona rannte wie nie zuvor in seinem Leben.
Er entdeckte die Männer hinter einem Dickicht aus Heidelbeersträ u chern. Wie ausgehungerte Raubtiere umkreisten sie seine Schwester. Ihre Bewegungen waren matt und langsam. Viel zu langsam. Hatte man ihr bereits wehgetan? Ein Trapper stieß sie mit seinem Gewehr zu Boden, ein anderer zerrte sie wieder auf die Beine. Hilflos taumelte sie zwischen den Männern hin und her. Wo war ihre Schnelligkeit? Wo ihre Geschic k lichkeit, die sie ihm gerade noch im spielerischen Kampf gezeigt hatte?
Nocona zog einen Pfeil aus seinem Köcher und blendete alle Gefühle aus. Er zielte auf die Stirn des vorderen Mannes, der soeben die Arme ausstreckte und auf Kehala zuschwankte wie jemand, der ein Kind e r schrecken wollte. Zorn drohte, die Kontrolle zu übernehmen. Er holte tief Atem, spannte sich zum Schuss an – als der Trapper von Kehalas Körper verdeckt wurde.
Nocona verschluckte seinen Fluch. Er richtete den Pfeil auf den zwe i ten Mann. Das Geschoss durchschlug die Schulter des Trappers und ließ einen Schwall Blut auf den Waldboden spritzen. Augenblicklich legte er erneut an, ließ einen weiteren Pfeil fliegen und verfehlte das Herz nur, weil der Verwundete stolperte und zu Boden ging.
Die Trapper bellten unverständliche Worte. Nocona hechtete ins G e büsch, Kugeln pfiffen durch die Luft und schlugen in Baumstämme und Boden. Der Verwundete zog den Pfeil aus seinem Fleisch, warf ihn be i seite und zückte sein Messer. Kehala nutzte die Gelegenheit. Mit vertra u ter Flinkheit tauchte sie im Gebüsch unter und rannte um ihr Leben.
„Lauf, kleine Schwester“, flüsterte er. „Lauf wie ein Reh.“
Er wusste, dass sie schnell war. Und ihre Chancen stiegen, wenn er die Männer lang genug ablenkte. Schnell sprang er auf, warf Köcher und Bogen beiseite, zückte sein Messer und wandte sich den herbeistürmenden Trappern zu, als plötzlich ein gewaltiger Ruck durch seinen Körper ging. Etwas riss ihn zurück und schmetterte ihn zu B o den. Ein Seil, das sich um seinen Brustkorb schlang. Die Silhouetten zweier
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