Nocturne City 02 - Blutfehde
Handschellen gefesselten Mann Im Schlepptau, den ich erst auf den zweiten Blick als meinen Stiefellecker wiedererkannte. Schade], dachte ich, denn eigentlich hatte er wie ein recht anständiger Kerl gewirkt.
Shelby unterhielt sich mit ihm, und als er sie mit seinem zuckersüßen Lächeln ansah, hatte ich erneut das eigenartige Gefühl, seine Visage irgendwoher zu kennen. Mit einem Nicken erlaubte er Shelby, sein Portemonnaie aus seiner Hosentasche zu fingern, da sie anscheinend einen Blick auf seinen Ausweis werfen wollte. Eine Sekunde später wies sie mit einer Mischung aus Schock und Beschämtheit im Gesicht den Polizisten an, dem Stiefellecker die Handschellen abzunehmen. Nachdem sie ihm das Portemonnaie zurückgegeben hatte, schüttelte er ihre Hand, und Shelby ließ ihn mit einem netten Lächeln und einer Entschuldigung zum Abschied ziehen.
„Was war das denn?“, fragte ich erstaunt, als sie wieder bei mir war.
„Ein Fehler“, meinte sie zögernd und rieb sich dabei hektisch die Hände, als habe sie sich gerade dreckig gemacht. „Der Kollege hat einen Fehler gemacht.“
„Die ganze verdammte Nacht ist ein einziger Fehler gewesen“, brummte ich. Ein riesengroßer, beschissener Fehler sogar … Schließlich wurde ich nicht jede Nacht in einem Käfig vermöbelt, nur um dann herauszufinden, dass der einzige Mann, der mir auf dieser Welt wirklich etwas bedeutete, mit einer osteuropäischen Werwolf-Gespielin durchgebrannt war. Die vergangenen Stunden hatten dieser ohnehin schon katastrophalen Nacht die Krone aufgesetzt und sie in die Top Ten meiner schlimmsten Albträume katapultiert.
„Ich hab da vielleicht etwas, womit ich dich ein wenig aufmuntern kann“, sagte Shelby zögernd, während ich meine zerzausten Haare zu einem Zopf flocht. Mit einer eiligen Handbewegung forderte ich sie auf weiterzusprechen, denn ich hoffte, dass ihr Geplapper mir etwas Ablenkung verschaffen würde. Zumindest für einen Moment müsste ich dann nicht mehr darüber nachdenken, wie ich Dmitri und Irina auf möglichst schmerzhafte Weise über den Jordan schicken könnte.
„Wir haben den Namen des offiziellen Besitzers vom Bete Noire herausbekommen“, begann Shelby zu erklären. „Da hier ganz offensichtlich jede Menge Drogen vertickt werden, lohnt es sich vielleicht, den Weg des Geldes zurückzuverfolgen. Möglicherweise erfahren wir ja so was über den Tod von Vincent Blackburn.“
„Gute Idee“, antwortete ich, „aber irgendwie habe ich die Befürchtung, dass die Leute vom Drogendezernat uns nicht gerade mit offenen Armen empfangen werden.“ Die Drogenfahnder waren seit jeher als ein eingeschworener Haufen bekannt, der niemanden auf seiner Spielwiese duldete. Die Hälfte von ihnen hielt sich selbst für verhinderte Doppel-Null-Agenten, und so wurde immer sofort Zeter und Mordio geschrien, wenn man einem ihrer Fälle zu nahe kam. Aus unerfindlichen Gründen konnten sie auf mehr Bundesdatenbanken zugreifen als das Morddezernat, waren aber trotzdem – oder gerade deswegen -sehr kleinlich bei der Preisgabe von Informationen. Ständig ließen sie andere Abteilungen wissen, dass es so etwas wie einen kleinen Gefallen unter Kollegen für sie nicht gab.
Shelby winkte ab. „Wer hat denn was vom Drogendezernat gesagt? Mein Onkel Patrick wird uns helfen. Das Unternehmen meiner Familie kann auf dieselben Daten zugreifen wie das Nocturne City Police Department.“
Was du nicht sagst … Wie jeder, der hin und wieder eine Tageszeitung durchblätterte, hatte ich so etwas schon geahnt. Die O’Halloran Group war einer der mächtigsten Konzerne der Westküste und verdankte ihre weit reichenden Verbindungen in Politik und Wirtschaft dem ewig grinsenden Aushängeschild des Unternehmens – Patrick O’Halloran. Auf mich hatte er immer einen recht schmierigen Eindruck gemacht, aber anscheinend sahen die Zeitungs- und Fernsehleute der Stadt das anders, denn seine aalglatte Visage tauchte alle paar Tage in den Medien auf, um das aktuelle Börsengeschehen zu kommentieren.
„Er wird uns sicher mit Vergnügen helfen“, sagte Shelby. „Ich hin nämlich seine Lieblingsnichte.“
Lieblingsnichte … Das konnte ich mir nur allzu gut vorstellen. Eigentlich passte es mir gar nicht, dass es jetzt noch einen Hexer geben würde, von dem ich mir mit übertriebener Nettigkeit einen Gefallen erschleichen musste. Andererseits schien es mir weitaus weniger erniedrigend, Patrick O’Halloran um einen Gefallen zu bitten, als einen schwitzenden
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