Nocturne City 02 - Blutfehde
rund um die Uhr geöffnete Dojo, wo ich mich zwischen Cops, Leibwächtern und Schlaflosen in bester Gesellschaft wusste.
Ich parkte den Wagen auf dem Schotterplatz vor der Halle und kramte meine Sporttasche aus dem Kofferraum. Meine Muskeln fühlten sich völlig steif an. Die Anstrengungen der letzten Stunden begannen ihren Tribut zu fordern. Unweigerlich musste ich an die Folgen der vielen aufgeschobenen Trainings stunden denken, für die mein Körper jetzt bezahlen müsste, und stieß einen Seufzer aus.
Am Eingang schlug ich auf die Glocke über der Tür, die als Klingel fungierte, und der Besitzer des Dojo sah überrascht von seinem Schreibtisch auf. „Wilder! Dachte schon, du wärst längst Wurmfutter.“
„Noch ist es nicht so weit, Mort“, antwortete ich. „Kann sich aber schnell ändern, wenn ich erst mal mit dem Training angefangen habe.“
Mort brummte zustimmend. Mit seinem kahlen Kopf, dem untersetzten Körper und der blassen Haut sah er aus wie die Idealbesetzung für die Rolle des in die Jahre gekommenen Boxtrainers Mickey im nächsten Rocky-Streifen. Eigentlich konnte sich niemand, der Mort zum ersten Mal sah, wirklich vorstellen, dass dieser kleine Mann den 5. Dan-Grat unter den Shotokan-Schwarzgurten erreicht und sich über Jahre hinweg als Bare-Knuckle-Boxer in Thailand durchgeschlagen hatte, nachdem er den professionellen Kampfsport wegen einer Knieverletzung an den Nagel hatte hängen müssen. Mort war nicht einfach nur ein zäher Hund – er war bei Weitem der härteste Typ, den ich unter den gewöhnlichen Menschen bisher kennengelernt hatte.
„Du schuldest mir noch die Kohle vom letzten Monat“, maulte er und widmete sich wieder dem Buch auf seinem Schreibtisch. Es schien ein übler Kitschroman zu sein. Der Titel „Hemmungsloses Verlangen“ wurde durch das Cover – auf dem ein muskulöses Alpha-Männchen ohne Hemd eine großbusige Frau in den Armen hielt – komplettiert und ließ in Kombination mit der kursiv gedruckten Überschrift „Wahre Liebe kennt keine Grenzen“ nichts Gutes vermuten.
„Was für ein Mist!“, murmelte ich.
„Wie bitte?“
„Ach nichts“, versicherte ich ihm und kramte schnell fünfundneunzig Dollar aus meiner Brieftasche, um meinen Mitgliedsbeitrag zu bezahlen. Beim Anblick der Scheine machte Mort große Augen und ließ einen erstaunten Pfiff hören.
„Eine Menge Bares, das du da mit dir rumschleppst. Kassierst du jetzt etwa nebenbei, Wilder?“
„Wenn es so wäre, Mort, dann würde ich bestimmt nicht in diesem Dreckloch hier trainieren.“
„Stimmt auch wieder“, brummte er.
Nach der kurzen Unterhaltung mit Mort verschwand ich in der Damenumkleide und streifte mir eine lockere schwarze Laufhose und einen Sport-BH über. Dann klebte ich mir Finger und Handgelenke ab, ließ die Trainingshandschuhe aber in der Tasche. Heute sollte es wehtun. Ich wollte mir nicht nur den angestauten Ärger, sondern auch das bohrende Gefühl der Erniedrigung und die Gedanken an einen gewissen Dmitri Sandovsky aus dem Körper prügeln. Thaiboxen war genau der richtige Sport dafür. Im Grunde ist diese Mischung aus fernöstlicher Kampfkunst und westlichem Boxstil nur für Leute geeignet, die in möglichst kurzer Zeit einen möglichst großen Schaden bei ihrem Gegner anrichten wollen. Mit Fäusten, Knien, Schienbeinen und Füßen wird so heftig auf den anderen eingehämmert, dass er nach Möglichkeit nicht wieder aufsteht. Zumindest bestand darin immer mein Ziel, wenn ich die von Mort erlernten Techniken bei Auseinandersetzungen im Dienst einsetzen musste.
Ich begann mein Training mit einer Reihe gerader Jabs, die aber kaum den Sandsack berührten. Der Zweck dieser Übung bestand darin, nach einer langen Woche ohne Training erst mal wieder ein Gefühl für Füße und Hände zu entwickeln. Ich merkte gleich, dass mein Gleichgewicht sehr zu wünschen übrig ließ, was aber in meinem Zustand kein Wunder war. Trotzdem legte ich ein paar ganz ordentliche Kombinationen und eine gelungene Serie gerader Kicks hin, die mich allerdings ganz schön aus der Puste brachten.
Ich prügelte wie wild auf den Sandsack ein, machte Liegestütze auf meinen Fäusten und auch noch Sit-ups, bis mir der Bauch wehtat, doch nichts von alledem konnte die quälenden Gedanken an Dmitri vertreiben. Irina schien ihm sehr gut in den Kram zu passen. Kein Wunder eigentlich – welcher Werwolf träumte nicht davon, eins der nuttigen Rudelgroupies für sich allein zu haben, damit es ihm alle Wünsche
Weitere Kostenlose Bücher