Nocturne City 02 - Blutfehde
Körper waschen. „Willst du etwa nicht herausfinden, wer Vincent ermordet hat? Willst du nicht auch wissen, wer der Täter ist, und dem ganzen Wahnsinn ein Ende bereiten?“
„Das steht nicht in meiner Macht“, antwortete Shelby frustriert. „Die O’Hallorans hassen die Blackburns schon so lange, wie ich denken kann, und werden das auch bis in alle Ewigkeit tun. Das ist alles, was ich weiß, Luna. Für meine Familie bin ich nichts weiter als ein unseliges Anhängsel, eine Sackgasse im Stammbaum, verstehst du? Sie haben mich nie in ihre magischen Geheimnisse eingeweiht, weil ich in ihren Augen von Geburt an unwürdig gewesen bin.“
Die Bitterkeit in ihrer Stimme konnte ich nur allzu gut nachvollziehen, denn es war fast so, als würde eine Insoli über die Werwolfrudel sprechen. Ihre Worte riefen auch Erinnerungen an meine Großmutter wach, die mich als Kind wieder und wieder mit den Worten Warum bist du nur so missraten, Luna, und hast nicht das magische Blut deiner Mutter bekommen? ihre Enttäuschung hatte fühlen lassen. Das Stigma, ein gewöhnlicher Mensch in einer Familie magisch begabter Hexen zu sein, kannte ich zur Genüge.
Eigentlich hatte ich Shelby wegen ihrer Lügen mit unerbittlicher Härte begegnen wollen, aber jetzt, da sie sich offenbart hatte, bröckelte meine Entschlossenheit. „Und warum hassen die Blackburns deine Familie so sehr, Shelby? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein so tief sitzender Hass sei NE Ursache in ein paar Kneipenschlägereien oder fehlgeleiteten Zaubern hat.“
Shelby seufzte und rieb sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Durch ihren armseligen Anblick gerührt, setzte Ich mich zu ihr aufs Bett und strich tröstend über die Decke, so wie Sunny es damals immer im Haus unserer Großmutter getan hatte, wenn ich aus einem Albtraum erwacht war.
„Tut mir leid.“ Ohne zu antworten, reichte ich ihr ein Taschentuch.
„Alles, was ich weiß“, begann Shelby und schnaubte in das Tempo, „ist, dass meine Familie vor langer Zeit etwas von den Blackburns gestohlen hat, und die Blackburns haben gemordet, um es wiederzubekommen.“
„Und was ist dieses mysteriöse Etwas?“
Shelbys Mundwinkel verzogen sich nach unten. „Denkst du wirklich, dass sie mir das erzählen würden?“
Natürlich nicht … Langsam ging mir auf, dass Shelby ein zehnmal schwereres Los gezogen hatte als ich. Meinem eigenen Fleisch und Blut so nah und gleichzeitig doch so fern zu sein, wie es bei Shelby der Fall war, konnte ich mir trotz meiner zerrütteten Familienverhältnisse nicht mal ansatzweise vorstellen. Wahrscheinlich war vor allem das unwiderstehliche Verlangen nach einer starken Gemeinschaft, das ich als Werwölfin in mir trug und mehr schlecht als recht mit Sunny und Dmitri zu befriedigen versuchte, dafür verantwortlich, dass ich ihre Situation so schrecklich fand.
Allmählich kam Shelby wieder zur Ruhe. Mit einem Gähnen und schweren Augen sagte sie schließlich: „Sorry, Luna, aber die Schmerzstiller hauen mich ganz schön um.“
„Weißt du schon, wann du rauskommst?“, fragte ich.
„Der Arzt meinte, in spätestens einer Woche. Der Stab des Stahlgitters hat keine wichtigen Gefäße getroffen.“
Obwohl ich es ihr nie gestanden hätte, beruhigte mich diese Auskunft ungemein, denn ich hatte mich trotz ihres nervigen Geplappers bereits an ihre Gesellschaft und den Gedanken, eine Partnerin zu haben, gewöhnt. Um die Fassade der einsamen Wölfin nicht aufs Spiel zu setzen, sagte ich aber nur: „Gut, dann informiere ich Mac, dass du die OP gut überstanden hast.“
„Luna?“, rief sie mir nach, als ich zur Tür ging. „Es tut mir wirklich leid.“
„Ich weiß. Vergiss es einfach!“, antwortete ich. Auch wenn Shelby vor der Explosion ganz gewiss keine Gewissensbisse wegen ihrer Lügen gehabt hatte, so war es jetzt doch so sicher wie das Amen in der Kirche, dass es ihr verdammt leidtat, mich belogen zu haben.
Als mein Telefon plötzlich klingelte, winkte ich schnell zum Abschied, aber Shelby war schon ins Traumland entschwunden. Aus Sorge, vielleicht irgendeinen Herzschrittmacher lahmzulegen, ging ich mit schnellen Schritten ins Treppenhaus, bevor ich den Anruf entgegennahm.
„Luna? Bart Kronen hier.“
Es war etwas seltsam, Dr. Kronens Stimme am helllichten Tag zu hören, aber sicherlich gab es triftige Gründe für seinen Anruf. „Machen Sie etwa auch die Autopsie von dem Bombenattentat? Ich hatte mich schon darauf eingestellt, mich
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