Nora Morgenroth: Der Hüter
Ich ließ die Hose herunter. Als ich fertig war, langte ich nach dem Toilettenpapier. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was ich tat. Angesichts des zunehmenden Gestanks in meinem Gefängnis kam ich kaum daran vorbei.
Als ich gerade die Hose wieder zuknöpfte, wurde die Luke über mir aufgerissen und fiel krachend zur Seite.
« Was schreiste so.»
Die Stimme klang nicht einmal wütend, blieb immer gleich im Tonfall. Wie das ausdruckslose Gesicht.
« Oh … ich, Entschuldigung … Herr Thönges, darf ich bitte, bitte heraus?»
« Was soll ich mit dir machen. Ha. Du stinkst.»
« Ja, das tut mir auch sehr leid … was soll ich denn machen? Herr Thönges. Wenn Sie mir noch einen Eimer geben und mehr Wasser, dann kann ich sauber machen. Oder Sie lassen mich bitte nächstes Mal auf die Toilette gehen?»
« Ha, und dann läufste wieder weg. Wer nicht hören will, kommt ins Loch.»
« Ja, das habe ich verstanden. Und ich laufe auch bestimmt nicht mehr weg.»
« Weiß nicht. Vielleicht morgen. Und nich mehr schreien, ja? Das will ich nicht, hörste. Dann kommt der Stock. Wirst schon sehen.»
Die Klappe fiel zu und ich saß erneut im Dunkeln. Allein in meiner stinkenden Höhle. Ich hätte gern geweint, doch für noch mehr Tränen war ich zu erschöpft. Mein Kopf fühlte sich leer und seltsam wattig an und ich brachte keinen vernünftigen Gedanken mehr zustande. Wenn man nicht einmal mehr weinen konnte, was blieb dann noch?
Ich streckte die Hand aus und fand das Päckchen mit dem angebissenen Brot. Das wickelte ich sorgsam aus, um keinen Krümel zu verlieren und biss hinein.
SIEBEN
«Los, Stinke-Kuh, Tomi macht dich fein.»
Das erste, was ich sah, waren Thönges Hosenbeine. Er stand neben mir in der Grube und klatschte mehrmals laut in die Hände. Ich brauchte einen Augenblick, ehe ich vollständig begriffen hatte, wo ich mich befand. Neben Thönges stand eine hölzerne Leiter. Mein Rücken war schmerzhaft gekrümmt und ich fror ganz entsetzlich. Mühsam richtete ich mich auf und kam irgendwie auf die Beine. Mein Kopf dröhnte und ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. War schon wieder ein Tag herum? Luke auf, Luke zu.
Thönges hatte die Leine vom Haken gelöst, ohne dass ich etwas mitbekommen hatte. Er lachte. Nein, das war kein normales Lachen. Das Gesicht war verzogen. Aber er sah trotzdem nicht fröhlich aus. Als hätte er sich eine Maske übergezogen.
« Bleib stehen, Kuh.»
Ich gehorchte.
Wer nicht hören will, kommt ins Loch . Es funktionierte schon.
Thönges wickelte sich das Ende der Leine um sein Handgelenk und zog. Er schnürte mir die Luft ab. Keuchend ließ ich mich dirigieren. Ich durfte hinauf! Meine Hände mussten mehrfach nachfassen und einmal glitt mir der linke Fuß weg, als ich langsam hinaufkletterte. Dann war ich oben. Noch wagte ich nicht, mich umzusehen. Was hatte er vor? Sollte ich fragen oder lieber schweigen? Wo war die Frau?
Ich stolperte. Bei jedem Schritt schnitt das Halsband in meine Haut. Immer wieder zerrte Thönges mich ruckartig zurück wie einen ungezogenen Hund, der nicht bei Fuß gehen will.
Wir verließen die Scheune. Die Sonne schien durch das dichte Laub der Buchen und zauberte helle Flecken über das ganze Anwesen. Ich hatte richtig vermutet. Es war die große Scheune, in der sich das Loch befand.
Hastig wandte ich den Kopf hin und her, konnte aber niemanden außer Thönges und mir entdecken. Wo mochte die Frau sein, die geschrien hatte?
Er führte mich um die Hausecke herum in den Hinterhof. Ich erkannte den Kaninchenstall. Einige Meter weiter ließ er mich anhalten. Das zerschnittene Ende der Leine knotere er umständlich an einen von drei alten Wäschepfählen. Von einer alten Plastikleine hingen nur noch verblichene Stücke herab. Währenddessen murmelte Thönges leise und unverständlich vor sich hin.
Es klang, als stritte er mit jemandem, aber ich konnte nicht ausmachen, worum es ging. Und natürlich war da niemand, außer mir, aber es kam mir so vor, als vergäße ich immer wieder, dass ich überhaupt da war. Dann lachte er albern wie ein Kind, das einen Streich ausheckt, von dem noch niemand außer ihm wusste.
Ich blickte um mich. Da war das Haus, dort der Wald. Der endlose, undurchdringliche Wald. Vielleicht konnte das Dickicht meine Rettung sein? Wenn es mir nur gel ingen würde, mich loszureißen, dann würde das Unterholz mich schon nach wenigen Metern verschlucken. Wenn man vermutlich auch nur schwer voran kam – dem Verfolger würde es
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